Neue Welle der Gewalt im Süden Thailands

Sicherheitskräfte schlagen koordinierte Angriffe schlecht bewaffneter Muslime zurück. Regierung spricht von Banditen

BANGKOK taz ■ Bei den bislang schwersten Kämpfen im Süden Thailands sind gestern mindestens 112 Menschen getötet worden. Darunter sind nach Militärangaben 107 aufständische Muslime, drei Polizisten und zwei Soldaten. Die meisten Opfer sind Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren. Allein beim Sturm von Soldaten auf eine Moschee in Pattani, in die sich die schlecht bewaffneten Aufständischen zurückgezogen hatten, starben mehr als 30 Menschen.

Die Angreifer sollen versucht haben, in den Südprovinzen Pattani, Yala und Songkhla Polizeiwachen und Bezirksbüros zu stürmen. Offiziell hieß es, es habe sich „um einen koordinierten Angriff muslimischer Separatisten“ gehandelt. Eine der präsentierten Leichen trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „JI“. Ob das jedoch als Beweis für die Beteiligung des südostasiatischen Terrornetzes „Jemaah Islamiyah“ taugt, ist fraglich. Die meisten Angreifer hatten lediglich Macheten und keine Bomben oder Gewehre bei sich.

Ein Menschenrechtsaktivist mutmaßte gar, die Muslime seien in eine Falle gelockt worden. Denn ein Angriff auf die schwer bewaffneten Sicherheitskräfte, die vorab gewarnt waren, war von vornherein aussichtslos. Premierminister Thaksin Shinawatra bezeichnete die Aufständischen als „Kriminelle“, die nur darauf aus gewesen seien, Waffen zu erbeuten. Die Gewaltwelle sei eine interne Angelegenheit Thailands und habe mit dem internationalen Terrorismus nichts zu tun. Vorbild sei der Überfall auf ein Militärlager in Narathiwat am 4. Januar gewesen, mit dem die jüngste Serie der Gewalt begann. Doch die Regierung scheint sich über die Ursachen der Gewalt im muslimischen Süden des mehrheitlich buddhistischen Landes selbst nicht im Klaren zu sein: Denn die zunächst nur als „Banditen“ bezeichneten Rebellen mutierten in offiziellen Darstellungen später doch zu Terroristen. Jetzt wird der blutigste Tag in den Südprovinzen wieder auf bloßes Banditentum reduziert.

Einen Erfolg versprechenden Plan zur Lösung der Krise hat die Regierung bisher nicht. Gerüchten zufolge wurde die Krise vor allem dazu genutzt, ohnehin in Ungnade gefallene Personen aus dem Kabinett, der Polizei und dem Militär zu feuern. Mit der Verhängung des Kriegsrechts vor gut drei Monaten heizte die Regierung den Konflikt noch an.

Der angesehene ehemalige Außenminister Surin Pitsuwan, selbst Muslim aus dem Süden, forderte eine sorgfältigere Auswahl von Bangkoks Repräsentanten für die muslimischen Gebiete. Die Entsandten sollten die Mentalität der Menschen dort besser verstehen. „Ein so vielfältiges Land wie Thailand zu regieren ist eben nicht so einfach, wie ein Familienunternehmen zu managen“, sagte Surin mit einem Seitenhieb auf den Ex-Telekommunikationstycoon Thaksin.

Thailändische Muslime fühlen sich oft von Buddhisten aus dem Norden dominiert. Nach Geheimdienstberichten ist Jemaah Islamiyah auch in Südthailand aktiv. Beweise gibt es dafür aber nicht. Thaksin beschuldigte den Nachbarn Malaysia, Separatisten zu beherbergen, was Kuala Lumpur zurückwies. Lokale Experten hingegen vermuten, dass Polizei, Militär und Aufständische gleichermaßen lukrativen Schmuggel betreiben.

Wenig sensibel reagierte Bangkok bisher auf das Verschwinden des muslimischen Anwalts Somchai Neelapaijit am 12. März. Thaksin lästerte zunächst über vermeintliche „Familienprobleme“ des prominenten Regierungskritikers. Der wurde mehrfach bedroht, weil er mutmaßliche JI-Mitglieder verteidigte und die Aufhebung des Kriegsrechts forderte. Beobachter vermuten, dass Polizeikreise hinter Somchais Entführung stehen. NICOLA GLASS