Spaziergang am Wandstrand

Nouvelle Vague aus dem Tschad: Mahamet-Saleh Haroun erzählt mit „Abouna – Der Vater“ in kraftvollen Farben von Familienbanden und der mythischen Kraft des Kinos

Ein Mann wandert einsam durch die Wüste. Ein letztes Mal noch dreht er sich zögernd um, als ließe er etwas sehr Kostbares zurück, dann wendet er sich ab und marschiert zielstrebig dem Horizont zu. Am nächsten Morgen sind wieder zwei Kinder ohne Vater. Regisseur Mahamat-Saleh Haroun hat sich für seinen zweiten Film, „Abouna“, von wahren Begebenheiten inspirieren lassen. Väter, die ihre Familien zurücklassen, sagt er in einem Interview, seien in seiner Heimat, dem Tschad, ein noch junges Phänomen. Die Männer verschwinden nach Kamerum und Ägypten, um dort Arbeit und ein besseres Leben zu finden.

Der Tschad gilt als eines der ärmsten Länder Afrikas, und gleich zu Beginn seines Films begibt sich Haroun an einen Ort, an dem diese soziale Krise besonders deutlich wird: an die Grenze zwischen dem Tschad und Kamerun. Viele Männer drängen über die kleine Brücke auf die andere Seite der Grenze, als würde sie dahinter ein verheißungsvolleres Leben erwarten. Hierhin, erklärt der fünfzehnjährige Tahir seinem kleinen Bruder Amin, sei der Vater gegangen. Und dann nimmt er ihn mit an einen besseren Ort.

Ins Kino zum Beispiel. Das Kino gilt gemeinhin als Ort der Zuflucht und des Verdrängens, aber nirgendwo wäre dieser Mythos zynischer als im afrikanischen Kino. Haroun ist sich dessen sehr wohl bewusst. Die Flucht ins Dunkel verspricht den beiden Jungen Ablenkung; aber genauso schnell, wie die sozialen Verhältnisse sie ins Kino getrieben haben, weisen die Kinobilder auch wieder hinaus ins Leben. Im Kino treffen Tahir und Amin ihren Vater wieder, und es spielt eigentlich keine Rolle, ob es wirklich ihr Vater ist, der da von der Leinwand herunter zu seinen Kindern spricht. Am nächsten Morgen begeben sich Tahir und Amin zurück ins Kino, um die Filmrolle zu stehlen. Neugierig schleppen sie ihre Beute nach Hause, fast so, als könnte schon das Filmmaterial sie in Kontakt mit ihrem Vater bringen. Doch zu Hause erwartet sie bereits die Polizei.

Mit „Abouna“ hat Haroun, der in Frankreich Film studiert hat, eine Filmsprache gefunden, die ihre westlichen Vorbilder nicht zu verleugnen braucht, gleichzeitig aber an eine afrikanische Wertetradition anknüpft. Am Eingang jenes Kinos passieren Tahir und Amin die Filmplakate zu „The Kid“ und „Stranger than Paradise“; eine Spielerei, wie man sie schon von den Cinephilen des Cahiers du Cinéma kannte. Und genau wie die Regisseure der Nouvelle Vague verbindet auch Haroun mit seinem Kino mehr als nur die Erinnerung an ein paar schöne Stunden. „Abouna“ lebt vom Humanismus Chaplins und den ruhigen, zirkulären Bewegungen Jarmuschs.

Die Suche nach dem Vater führt die Jungen schließlich wieder zur Familie zurück. Das wachsende Verantwortungsgefühl füreinander verschafft dem Film auch seine kraftvollen Farben: ein strahlendes Leuchten inmitten von katastrophaler Armut, ein Stückchen Hoffnung, wo niemand mehr etwas zu erwarten hat.

Irgendwann erhalten Tahir und Amin doch noch Post von ihrem Vater: Er hat ihnen ein großes Bild vom Meer geschickt, das sie sich wie einen Fensterausschnitt an die Wand ihrer spartanischen Unterkunft hängen, um zumindest manchmal aus ihrem Leben hinausgucken zu können. Und dann beginnt die Kamera sich heranzutasten – auf das Bild zu, in das Bild hinein (plötzlich befinden wir uns an einem einsamen Strand) und wieder zurück. Es ist eine einfache, schöne Bewegung, in der die ganze Kraft von Mahamet-Saleh Harouns Kino steckt.

ANDREAS BUSCHE

„Abouna“, Regie: Mahamet-Saleh Haroun, Tschad/F 2002. FSK und Hackesche Höfe, Termine s. Programm