Die Bilder der Rechtlosigkeit

Die Fotos sind ein Desaster für George Bush. Die beschuldigten Soldaten wurden suspendiert. Sie behaupten aber, dass sie auf Befehl gehandelt haben

Der politische Flurschaden in der arabischen Welt ist noch nicht absehbar

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Die amerikanische Regierung und Militärführung bemühen sich nach der Misshandlung irakischer Häftlinge durch US-Soldaten um Schadensbegrenzung. Das Pentagon kündigte harte Strafen an. Präsident George W. Bush verurteilte die Taten scharf und reagierte mit „tiefem Abscheu“. Das Verhalten entspreche nicht dem Wesen der Amerikaner, sagte er am Freitag sichtbar zerknirscht. Es war der Tag, an dem er vor einem Jahr in triumphaler Pose das Ende des Irakkriegs verkündet hatte.

Weißes Haus und Pentagon entschuldigten sich öffentlich für die Misshandlungen der irakischen Gefangenen. Doch der politische Flurschaden in der arabischen Welt ist noch nicht absehbar. Ein US-Fernsehsender hatte am Mittwoch Bilder von nackten irakischen Gefangenen in demütigenden Stellungen gezeigt. Aufgenommen im Gefängnis Abu Ghraib, das Saddam Hussein als Folterstätte gedient hatte. Ein Foto zeigte einen Mann, der auf einer Kiste steht, dessen Arme und Beine an Elektrodrähte angeschlossen sind. Ihm sei gedroht worden, dass er durch Stromschläge getötet würde, sollte er fallen. Auf einem anderen Bild sind unbekleidete Häftlinge zu sehen, die eine Pyramide formen, auf der US-Soldaten herumsprangen. Wiederum andere zeigen lachende GIs, die mit Fingern auf die Genitalien der Gefangenen deuten.

Übereinstimmend werteten Kommentatoren die Vorfälle als verheerend. „Dies ist ein Desaster. Fünf oder sechs Soldaten haben es geschafft, das Ansehen der US-Streitkräfte weltweit zu beschmutzen“, sagte Michael Rubin von der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute. „Diese Fotos demonstrieren die erniedrigendste und beschämendste Behandlung von Gefangenen, die kurz vor physischer Folter Halt macht“, schreibt die Washington Post.

Sechs offenbar verantwortliche Soldaten sind nach Angaben eines Militärsprechers bereits von einem Kriegsgericht angeklagt worden, gegen drei weitere werde ermittelt. Den Angeklagten wird Verschwörung, Misshandlung, Körperverletzung und sexueller Missbrauch vorgeworfen. Überdies drohen mehreren Offizieren Disziplinarstrafen. Die Leiterin des Gefängnisses, Reservegenerälin Janis Karpinski, wurde suspendiert.

Die betroffenen US-Soldaten fühlen sich jedoch zu Unrecht angegriffen. Über ihre Anwälte ließen sie verlauten, dass Offiziere die Häftlingsbehandlung befohlen und aktiv unterstützt haben sollen. Karpinski geht gar von einer Verschwörung des Militärgeheimdienstes aus. Der Sonntagsausgabe der New York Times sagte sie, der Zellenblock, in dem sich die fotografierten Misshandlungen abspielten, habe unter der strengen Kontrolle des Militärgeheimdienstes gestanden. Die Armeeführung wolle so die Aufmerksamkeit vom Militärgeheimdienst auf die einfachen Soldaten lenken, weil diese „verzichtbar“ seien. Tatsächlich aber habe der betreffende Zellenblock unter ständiger Kontrolle von Geheimdienst-Mitarbeitern gestanden.

Nach einem Bericht des Magazins The New Yorker hat der US-Militärgeheimdienst die Demütigungen sogar befohlen, um die Gefangenen zu Aussagen zu bewegen. Der Artikel zitiert aus einem Brief, den einer der wegen Misshandlung angeklagten US-Soldaten nach Hause schrieb. Darin erzählte der Feldwebel Ivan Frederick, dass er „einige der Dinge in Frage gestellt“ habe, die er im Abu-Ghraib-Gefängnis gesehen habe. „Die Antwort lautete: So will es der Militärgeheimdienst haben“, schrieb er. Frederick und andere Soldaten seien vom Militärgeheimdienst ausdrücklich gelobt worden, da sie durch ihr Vorgehen gegen die Gefangenen „positive Ergebnisse und Informationen erhalten“, heißt es in seinem Brief weiter. Fredericks Anwalt sagte, sein Mandant habe lediglich Befehle ausgeführt. „Glauben Sie im Ernst, dass eine Gruppe von Jungs aus dem ländlichen Virginia sich das selbst ausgedacht hat? Sich ausgedacht hat, Araber zum Sprechen zu bringen, indem man sie erniedrigt und nackt herumlaufen lässt?“

Um den „Regeln der Rechtlosigkeit“, wie die Washington Post titelte, nunmehr ein Ende zu bereiten, soll nach US-Presseberichten der bisherige Kommandeur des Gefangenenlagers Guantánamo, das für die Wahrung des Rechts nicht gerade berühmt ist, neuer Leiter des Abu-Ghraib-Gefängnisses werden.