Wir brauchen eine Weltpolizei

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus bedarf unilateraler Aktionen. Dazu ist ein von allen Staaten getragener, vorsichtiger Umbau des Völkerrechtes notwendig

Nur schwerste Menschenrechts-verletzungen rechtfertigen humanitäre Interventionen

Dass der Irakkrieg moralisch illegitim, rechtlich unzulässig und politisch dumm war, hat sich inzwischen herumgesprochen. Dennoch darf sich die Europäische Union einer Anpassung des Völkerrechts auch in Richtung unilateraler Aktionen nicht völlig verschließen. Nötig ist ein von allen Staaten getragener Umbau des Völkerrechts in Richtung eines Weltpolizeisystems, das jedenfalls in Extremfällen auch einseitige Aktionen zulässt.

So muss nach der Abdankung der Staaten als faktische Monopolisten des Krieges das Selbstverteidigungsrecht des Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen auch zu Gewaltmaßnahmen gegen nichtsstaatliche Organisationen berechtigen, solange solche Terrornetzwerke über ein staatsähnliches Bedrohungspotenzial verfügen. Eine solche Fortentwicklung des Völkerrechts geschah bereits durch die Sicherheitsresolutionen nach dem 11. September 2001. Klarzustellen wäre aber, dass dies lediglich zu Gewaltaktionen gegen die jeweiligen terroristischen Gruppen und nicht zu Entmachtungskriegen gegen die jeweiligen Basenstaaten führen darf.

Einer Präzisierung bedarf auch die zeitliche Dimensionierung: Wie gegenwärtig muss der Terrorangriff sein, um fremde Souveränität mit Waffengewalt verletzen zu dürfen? Unter dem Eindruck des Kolossalverbrechens des 11. September billigte die Weltgemeinschaft wegen der ausdrücklichen Drohung von al-Qaida, weitere Anschläge durchzuführen, auch erst vier Wochen später einsetzende US-Militäraktionen. Andererseits aber gab es eine klare weltweite Ablehnung des ja auch auf das präventive Selbstverteidigungsrecht gestützten Irakkrieges. Eine Fortentwicklung des Völkerrechts in Richtung allgemeiner Zulässigkeit von Präventivkriegen kann daher nicht festgestellt werden.

Es darf aber auch kein Denkverbot gegen eine gewisse Vorverlegung des Selbstverteidigungsrechts bestehen. Dies müsste natürlich immer an die klare und beweisbare Gefahr eines konkret drohenden Angriffs gebunden sein. Zur allgemeinen Wahrnehmung von Polizeiaufgaben auf fremden Hoheitsgebiet ermächtigt es nicht. Auch müssten solche Einsätze in vielfältiger Hinsicht Ultima Ratio sein: Der Sicherheitsrat muss versagt haben, eine „Intervention auf Einladung“ versucht und Terrorgruppen wie Basenstaaten Gewaltanwendung unmissverständlich angedroht worden sein. Denkbar wären solche Szenarien etwa bei Erkenntnissen unmittelbar drohender Nuklearschläge. Solche klar zu ortenden Angriffsvorbereitungen sind im Kampf gegen dezentralisierte Terrornetzwerke aber eher die Ausnahme.

Große Vorsicht ist bei der Zulassung humanitärer Interventionen geboten. Allgemein anerkannt ist dieses Instrument jedenfalls zurzeit noch nicht. Andererseits ist es schwerlich mit der zwingenden Geltung internationaler Menschenrechtsstandards zu vereinbaren, deren Durchsetzung von oft rein machtpolitisch motivierten Sicherheitsratsresolutionen abhängig zu machen. Eine unter strengsten Bedingungen stehende humanitäre Intervention darf daher ebenfalls kein Tabuthema sein. Unter Gesichtspunkten globaler Rechtssicherheit hilfreich wäre hier die Aufstellung eines Katalogs schwerster Menschenrechtsverletzungen. Diese und nur diese können dann eine Intervention rechtfertigen.

Eine Verwendung zum Export der westlichen Idee freiheitlicher Demokratien ist nicht möglich, da es keine völkerrechtliche Pflicht zur Etablierung einer demokratischen Herrschaftsform gibt. Da die Durchsetzung von Menschenrechten im Gegensatz zum Selbstverteidigungsrecht grundsätzlich kollektives Anliegen der Menschheit insgesamt ist, bedarf es in jedem Fall eines irgendwie gearteten Ersatzes kollektiver Entscheidungsfindung, wenn schon der Weltsicherheitsrat nicht handlungsfähig ist. In Frage kämen hier insbesondere eine treuhänderisch tätige Regionalorganisation im Sinne des Kapitel VII, Artikel 53 der Charta der Vereinten Nationen. Auf diese Weise wäre zumindest ein Minimum an Diskurs gewährleistet und Missbrauchsmöglichkeiten dieser Einrichtung für imperialistische Zwecke eines Staates wären zumindest gemindert.

Gestaltet man eine solche Intervention als reines Notrecht, bindet es in jeder Hinsicht an Ultima-Ratio-Bedingungen und suspendiert die Befugnis hierzu sofort, sobald der Sicherheitsrat effektive Maßnahmen beschließt, wäre es durchaus mit den Strukturprinzipien des Völkerrechts vereinbar. Regelmäßig bleiben aber auch „weltinnenpolitische“ Aufgaben eine Angelegenheit der UN. Da – wie der Irakkrieg aber auch der Fall Kosovo zeigte – sich Streit und Rechtsunsicherheit immer wieder an der Feinabstimmung zwischen unilateralen und oft auch parallel laufenden kollektiven Maßnahmen entzünden, bedarf dieses Verhältnis näherer Ausgestaltung.

Hier ließen sich Konzepte innerstaatlicher Gewaltanwendung fruchtbar machen. So muss etwa derjenige, der sich auf eine Notkompetenz beruft, nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen für das Einschreiten als solches beweisen – sondern auch die Tatsache, dass ausnahmsweise eine andere Behörde als die regelmäßig zuständige handeln kann. Überträgt man dies auf das Nothandeln eines Staates bei Gefahr im Verzug für zwingend geltende Völkerrechtsgüter, so hat der jeweils handelnde Staat zu beweisen: 1. die Voraussetzungen für Selbstverteidigung oder humanitäre Intervention als solche und 2. das Vorliegen einer zu unilateralem Handeln berechtigenden Notlage.

Aber: Wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail: Welche Maßnahmen des Sicherheitsrats sind ausreichend, um einseitiges Handeln zu blockieren? Bei andauernden schwersten Menschenrechtsverletzungen kann dies eine bloße Missbilligungsresolution nicht sein. Die kollektive Maßnahme muss also eine aktuell wirksame effektive Abhilfe versprechen. Sonst gibt das Völkerrecht über Verfahrensregeln den Anspruch unabdingbarer Menschenrechte wieder auf.

Es darf kein Denkverbot gegen eine gewisse Vorverlegung des Selbstverteidigungsrechts bestehen

Die Etablierung gezeigter unilateraler Eingriffbefugnisse stellt aber einen so grundlegenden Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen dar, dass dies nur durch Beschluss des weltweiten „pouvoir constituant“, also der Staatengemeinschaft, eingeführt werden kann. Dieser Beschluss kann nicht vom Sicherheitsrat kommen, denn dieses Organ repräsentiert nicht die Staatengemeinschaft, sondern allenfalls die nördliche Hemisphäre. Eine echte Repräsentanz der Völkergemeinschaft stellt allein die Generalversammlung mit ihrem Prinzip „one state one vote“ dar.

Allein: hier sind auch die von potenziellen Interventionen betroffenen Staaten vertreten. Ein Konzept der „new world order“ oder Weltinnenpolitik inklusive unilateraler Aktionen muss daher von der Generalversammlung diskutiert und beschlossen werden. Hierfür wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Damit wäre einerseits die nötige Legitimität und Akzeptanz der Staatengemeinschaft hergestellt, andererseits aber eine Blockademöglichkeit einzelner Staaten ausgeschlossen.

CHRISTOPH PALME