Elektronischer Patient im Anmarsch

Zum 1. Januar 2006 kommt die „intelligente“ Versichertenkarte. Dadurch soll die Kommunikation im Gesundheitswesen digitalisiert werden. Was aber, wenn jemand seine medizinischen Daten nicht herzeigen will?

Ein Patient, der nicht alles preisgibt, könnte vom Arzt als Querulant behandelt werden

BERLIN taz ■ Auf das Datum will das Gesundheitsministerium nicht mehr festgenagelt werden. „Grundsätzlich“ aber rechnet die Behörde damit, dass zum 1. Januar 2006 „alle Versicherten die Karte in den Händen halten“, sagt der zuständige Referatsleiter Stefan Bales. Der elektronische Ausweis für alle Versicherten, Gesundheitskarte genannt, ist das größte Projekt zur Straffung der Kommunikation im Gesundheitswesen weltweit. Nur Taiwan hat bislang eine ähnliche Karte an seine 24 Millionen Bürger verteilt.

Auf einem Mikrochip soll in einem ersten Schritt das Arztrezept gespeichert werden. 700 Millionen Papierrezepte pro Jahr werden also ersetzt durch elektronische Datenweitergabe. In einem zweiten Schritt sollen auch medizinische Daten gespeichert werden, etwa die Blutgruppe oder Medikamentenunverträglichkeiten.

Die Probephase beginnt Ende dieses Jahres: In verschiedenen Testregionen, angepeilt sind Sachsen und Bayern, soll die Karte ausprobiert werden. Die Gesamtkosten des Projekts werden mit 0,7 bis 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. „Die Investition der Kassen wird sich in zwei bis drei Jahren komplett amortisiert haben“, sagt Bales.

In Einzelfällen könne es bis 2006 natürlich Verzögerungen geben, nicht zuletzt weil ja auch die 72 Millionen gesetzlich Versicherten je ein Foto zur Verfügung stellen müssten. Aber die Krankenkassen „sind sehr gut aufgestellt“, die Mammutaufgabe zu meistern, behauptet Bales. Von Deutschlands 185.000 Arztpraxen verfügen bereits viele über die nötige technische Ausrüstung, die Karte zu bedienen – alle anderen werden mit Extrahonoraren zur Aufrüstung verlockt.

Doch außerhalb des Ministeriums gibt es fast niemanden, der den Termin 1. Januar 2006 für realistisch hält. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung plädiert für 2007 statt 2006. Krankenkassenvertreter verwenden die Warnhinweise „Maut-Desaster“ und „Toll Collect“.

Nur wenn Ärzte, Apotheker und Kassen mitspielen, kann der Termin nach Ansicht beteiligter Unternehmen wie etwa IBM Deutschland eingehalten werden. So werden schon einmal Schuldzuweisungen geprobt.

Welch logistische Herausforderung die Einführung abgesehen von allen vorstellbaren Softwareproblemen darstellt, erklärt der Telemediziner Christoph Goetz von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. Sollen die Versicherten innerhalb eines Jahres mit neuen Karten ausgerüstet werden, „so müssen zwischen 250.000 und 300.000 Karten pro Tag produziert, personalisiert und versandt werden“.

Wie immer im Gesundheitswesen geht im Gezerre um Zuständigkeiten manche Frage unter, die für das Versichertenvolk interessant sein könnte. Unbestritten ist, dass die Speicherung medizinischer Daten auf der Karte gerade im Notfall helfen kann. Wer etwa nach einem Unfall von der Straße aufgelesen wird, der kann im Krankenhaus besser versorgt werden, wenn die Ärzte sofort wissen, dass er einen Herzfehler hat. Auch lässt sich mit Hilfe der Karte vermeiden, dass unverträgliche Medikamente oder solche mit widersprüchlichen Wirkungen verschrieben werden.

Andererseits brauchen nicht alle Patienten einverstanden zu sein, dass die Verordnungen gespeichert und vom Arzt gelesen werden können. „Den vollen Nutzen kann die Karte nur bringen, wenn die Gesundheitsdaten möglichst lückenlos gespeichert werden“, sagt der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Manfred Richter-Reichhelm. Vielleicht aber soll der Hausarzt gar nicht wissen, dass der Gynäkologe die Patientin gerade wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt.

„Die Gesundheitskarte ist in Ordnung, solange der Patient Herr seiner Daten bleibt“ – dieses Argument der Datenschützer greift zu kurz. Denn zwar soll jeder bestimmen können, was außer dem Rezept auf der Karte gespeichert wird. Doch was der Versicherte als Selbstbestimmung versteht, kommt beim Arzt vielleicht als Misstrauensbeweis an. Ein Patient, der nicht alles preisgibt, muss fürchten, wie ein Querulant behandelt zu werden.

Die Ärzteschaft hat das Problem bereits erkannt – eine Beschwichtigung ist bislang noch niemandem eingefallen.ULRIKE WINKELMANN