Gefährliche „so genannte Malerei“

Ein verdächtiger Ausländer: Eine Ausstellung in Paris zeigt, wie Pablo Picasso von der Polizei beschnüffelt wurde

Pablo Picasso mag geahnt haben, dass das, was jetzt über ihn im Pariser Polizeimuseum ausgestellt ist, existierte. Zu Gesicht bekommen hat er es nie. Es sind Dokumente aus vier Jahrzehnten Beschnüffelung. Geheime Berichte der Ausländerpolizei. Die Akte Picasso.

Der 19-Jährige war noch keinen Monat in Paris, wo er bei einem Landsmann in einer Dachetage auf Montmartre untergeschlüpft war, als sich ein französischer Polizist an seine Fersen heftete. Am 18. Juni 1901 tippt der Schnüffler seinen ersten Bericht. Darin missbilligt er sowohl die Bilder des jungen Mannes aus Malaga – „ausländische Soldaten schlagen auf einen am Boden liegenden Bettler ein“ – als auch dessen Lebenswandel: „Er empfängt unbekannte Besucher, verlässt die Wohnung zu unregelmäßigen Zeitpunkten, kommt spät zurück und schläft gelegentlich sogar aushäusig.“

Die Concierge versichert zwar, Picasso habe „nichts Subversives“ gesagt. Und auch für seine Teilnahme an verbotenen Versammlungen gibt es keine Beweise. Doch der Polizist schreibt: „Man muss ihn als Anarchisten betrachten.“

„Anarchist“ – das war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Paris, kurz nach einer Attentatswelle, die auch den Parlamentspräsidenten das Leben gekostet hatte, der schwerste Vorwurf. Aber in der Sicht der Folgegenerationen von französischen Polizisten verschlimmert Picasso seinen Fall noch. Im Mai 1940 schreiben sie, er sei weiterhin „extremistisch“ und habe seine „Ideen sogar in Richtung Kommunismus weiterentwickelt“. Letzteres, obwohl er „mit der so genannten modernen Malerei reich geworden ist und ein Schloss in Frankreich gekauft hat“.

In jenem Frühling 1940, wenige Monate nachdem Franco die Macht in Spanien erobert hatte und kurz bevor die Deutschen Paris besetzten, beantragte Picasso seine Einbürgerung in das Land, in dem er seit 39 Jahren lebte. Er war international bekannt. Zahlte Jahressteuern im Gegenwert von einer Viertelmillion Euro. Und unterstützte öffentlich die spanische Republik und die russischen Räte. Die Ausländerpolizei schnüffelte wieder bei Nachbarn, Concierge und Barbetreibern.

Unmissverständlich ist ihr Abschlussbericht vom 7. Mai 1940: „Dieser Ausländer sollte auf gar keinen Fall die französische Staatsangehörigkeit bekommen. Vom nationalen Standpunkt aus, muss er als verdächtig betrachtet werden.“

Wenig später beschlagnahmte die Reichswehr die französischen Akten über „verdächtige Ausländer“ und nahm sie mit nach Berlin. Bei Kriegsende verfrachtete die Rote Armee das wertvolle Material, darunter auch die Akte Lenin, nach Moskau. Picasso selbst erhielt nicht einmal eine Antwort auf seinen Einbürgerungsantrag. Trat 1944 der Kommunistischen Partei bei. Und blieb Spanier bis zu seinem Ende.

Über seinen gescheiterten Einbürgerungsversuch hat Picasso nie gesprochen. Erst nachdem die Berliner Mauer gefallen und die Sowjetunion verschwunden war, rollten Anfang 2000 sieben Lastwagen von Moskau nach Paris und brachten tonnenweise Polizeiprosa in das Ursprungsland zurück. Auch die Akte Picasso.

Die Ausstellung ist bis zum 15. Mai zwischen Uniformen, Handschellen und Fahndungsplakaten im Pariser Polizeimuseum (4, rue de la Montagne Sainte-Geneviève) zu sehen, wandert dann durch Polizeikommissariate in der französischen Provinz und zeigt anschaulich, wie wenig sich in den letzten hundert Jahren am polizeilichen Umgang mit Ausländern geändert hat. DOROTHEA HAHN