Rache einer Moderatorin

Italiens Mediendiktator Silvio Berlusconi treibt TV-Schaffende in die Politik. Jetzt hat sich Lilli Gruber, eine Art Antonia Rados und Anne Will in einem, entschieden, fürs Europaparlament zu kandidieren

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Als „Lilli die Rote“ ist sie italienischen TV-Zuschauern schon seit Jahren bekannt: Lilli Gruber, das bekannteste Nachrichtengesicht südlich der Alpen, populär nicht nur wegen ihrer Kompetenz, sondern auch wegen ihrer roten Haare. Jetzt aber darf sich Gruber auch aus einem zweiten Grund „la rossa“ nennen. Letzte Woche nämlich gab die wichtigste Oppositionsliste, die Parteienallianz „Geeint im Ölbaumbündnis“, bekannt, dass sie Lilli Gruber bei den Europawahlen ins Rennen schickt, dazu noch gleich als Listenführerin in Mittelitalien.

Dort soll sie Silvio Berlusconi schlagen, der für seine Forza Italia antritt (obwohl er als Ministerpräsident das Europaparlament-Mandat nicht annehmen kann). Da wird also der TV-Mogul, der heute als De-facto-Monopolist die Fernsehinformation sowohl auf seinen Mediaset-Privatkanälen als auch auf der staatlichen RAI unter Kontrolle hat, direkt herausgefordert von einer Person, die ihrerseits dank des Fernsehens „fast so bekannt ist wie der Papst“, wie die Wochenzeitung L’Espresso süffisant bemerkt. Und genau so versteht die 47-jährige Südtirolerin ihre Kandidatur – als Rache einer TV-Macherin an jenem Mann, der das italienische Fernsehen seiner Diktatur unterworfen hat.

Im Dienst der Regierung

Gruber hatte bei den Regionalnachrichten von RAI3 angefangen und wurde 1987 bei RAI2 die erste italienische Anchorwoman der abendlichen Hauptnachrichten; 1994 schließlich wechselte sie zum TG1, dem auf RAI1 ausgestrahlten Flaggschiff aller italienischen Nachrichtensendungen. 1996 moderierte sie im deutschen Fernsehen „Focus TV“.

Viele politische Herren der RAI hat Gruber in den Jahren kommen und gehen sehen, „nie aber“ – so begründete sie jetzt ihre Kandidatur – „hat dermaßen die Versuchung überwogen, die Information auf eine Einheitslinie zu bringen“: „Heute ist es in der RAI nicht mehr möglich, im Dienst des Publikums zu arbeiten, sondern nur noch im Dienst der Regierung.“

Das bekam Lilli Gruber in den letzten Monaten verstärkt zu spüren; ihr Chef, der Berlusconi-Mann Clemente Mimun, bestellte sie schon wegen einzelner Adjektive zum Rapport, zum Beispiel als sie es gewagt hatte, das neue Pro-Berlusconi-Mediengesetz „umstritten“ zu nennen. Erst recht bekam sie wegen ihrer Irak-Berichterstattung Ärger. Während andere RAI-Kollegen als „embedded journalists“ den US-Vormarsch bejubelten, fiel sie mit kritischen Reportagen auf, die auch die Opfer des Krieges zeigten. Das Maß war dann im letzten April voll, als Gruber in einer Live-Schaltung aus Bagdad vom irakischen „Widerstand“ sprach und die Amerikaner „Besatzer“ nannte. Berlusconis Minister im Studio regte sich fürchterlich auf – und Gruber wurde aus dem Irak abberufen.

Nun setzt sie sich im Wahlkampf offen dafür ein, dass auch andere aus dem Irak abrücken: die 3.000 dort stationierten italienischen Soldaten. Dennoch stößt ihre Kandidatur bei der Linken nicht nur auf Begeisterung. „Aufs Terrain Berlusconis“ begebe sich da die Opposition, moniert Michele Serra, Autor politischer Satiren; schon Berlusconi habe seine auf dem Fernsehen gründende Popularität politisch ausgebeutet, und auch die Linke begebe sich nun auf den Pfad, die Politik zum Wurmfortsatz des Fernsehens zu degradieren.

Bestätigt sehen sich die Kritiker dadurch, dass die Kandidatur Grubers kein Einzelfall ist. Die Mitte-links-Opposition nämlich schickt mit Michele Santoro einen weiteren Moderator ins Rennen. Santoro hat auch eine Rechnung mit Berlusconi zu begleichen: Seine politische Talk-Show wurde vor zwei Jahren aus dem RAI-Programm gekegelt, nachdem der Ministerpräsident offen den Kopf Santoros verlangt hatte, weil der das TV „in krimineller Weise“ gebrauche.