Darwin fast ausgestorben

Italiens katholisch-technokratische Regierung findet Schöpfung wichtiger als Evolution – und wollte Darwins Lehre aus der Schule verbannen. Nach einem Aufschrei geht‘s umgekehrt: Nun sollen schon Abc-Schützen Gesetze der Artenvielfalt studieren

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Für Bildungsministerin Letizia Moratti war es nur ein Sturm im Wasserglas. Halb Italien erregte sich in den letzten Wochen darüber, dass die Berlusconi-Regierung Charles Darwin und seine Evolutionstheorie aus dem Unterricht der Mittelschulen tilgen will. Tausende Wissenschaftler hatten gegen die antiaufklärerische Schulreform protestiert. Für Ministerin Moratti alles nur ein Missverständnis. Sie nutzte ein RAI-„Interview“ um zu zeigen, wie – frei nach Darwin – adaptions- und lernfähig sie ist: Eine Kommission solle nun dafür sorgen, dass schon von der ersten Klasse an die Evolutionslehre Thema des Unterrichts sein kann.

Das nennt man einen Rückzug auf ganzer Linie. Die Opponenten der Schulreform, die Lehrerverbände und die Universitäten wollen nicht recht glauben, dass es purer Zufall war, der Darwins wissenschaftliche Sicht der Evolution in den neuen Rahmenrichtlinien aussterben ließ. Die Schulreform soll nach dem Willen Morattis mit dem 68er-Geist in der italienischen Bildung aufräumen.

Moratti verkörpert in ihrer Biografie den doppelten Geist der Reform: Die taffe Managerin, von Berlusconi als „Technikerin“ ins Kabinett geholt, ist zugleich stramme Katholikin. Als solche predigt sie den Rückzug des Staates und will dem Elternwillen mehr Raum geben. Moratti möchte Eltern stärken, die ihre Kinder im christlichen Geiste an katholischen Privatschulen erziehen lassen wollen. Italiens Verfassung sieht eigentlich das Verbot der staatlichen Förderung privater Bildungseinrichtungen vor.

Die Ministerin umgeht dies, indem sie „Wahlfreiheit“ gegen „staatlichen Zwang“ setzt: Sie will Eltern mit Zuschüssen zum Schulgeld fördern, wenn sie ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Dieses Jahr schon gibt es 300 bis 500 Euro pro Kind. Der Zuschuss soll künftig weiter steigen – zur Freude der Bischofskonferenz.

Auch in den staatlichen Schulen soll ein neuer Geist wehen – der von vorgestern nämlich. In den Reformrichtlinien ist viel von Sitte und Moral, von Anstand und Religion die Rede. Dazu passte das Herausfallen der Evolutionstheorie ganz prächtig – schließlich halten auch Vertreter der italienischen Regierungskoalition Darwins Lehre für eine „linke Theorie“. Zugleich aber prahlen die Ministerin und ihr Chef Silvio Berlusconi laufend damit, sie machten Italiens schule fit für die Zukunft. „Drei I“ hatte Berlusconi schon im Wahlkampf versprochen: Inglese, Internet, Impresa – Englisch, Internet, Unternehmen. Und tatsächlich kriegen in Zukunft schon Erstklässler Englischunterricht; dazu lernen sie, wie heute „E-Government“ funktioniert.

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die technokratische Unternehmensorientierung als ideologischer Überbau der Reform. Die nämlich leidet daran, dass sie als Billigervariante angelegt ist. So soll in der Mittelschule – sprich in den Klassen sechs bis acht – eine zweite Fremdsprache bindend eingeführt werden. Dafür aber wird dort Englisch gnadenlos zusammengestrichen, von 3 auf 1,4 Unterrichtsstunden pro Woche. Gestrichen wird auch der Naturwissenschaftunterricht: Eine statt drei Stunden soll ausreichen, um die Kids mit Chemie, Physik, Biologie vertraut zu machen; für Religion dagegen sind weiter zwei Stunden eingeplant. Und insgesamt sollen die wöchentlichen Pflichtunterrichtsstunden sowohl in der Grund- als auch in der Mittelschule von 30 auf 27 sinken. Das schafft angeblich Raum für zusätzliche optionale Angebote der einzelnen Schulen – und wohl fürs Abspecken der Lehrerkollegien.

Italiens Schule hat deshalb beste Chancen, auch nach der Reform mit Deutschland heftig um die Rolle des Schlusslichts bei den Pisa-Studien zu konkurrieren – erst recht, wenn die ebenfalls schon beschlossene Reform der Sekundarschulen umgesetzt wird. Auch dort strebt Moratti vorwärts in die Vergangenheit. Bisher können Italiens Schüler nach der Klasse acht zwischen den verschiedenen weiterführenden Schulen wählen, vom altsprachlichen Gymnasium zur Techniker- oder zur kaufmännischen Fachschule.

Wie auch immer sie sich entscheiden: Nach fünf Jahren erhalten sie einen Abschluss, der zum Universitätsstudium berechtigt. Damit soll Schluss sein. Auf der einen Seite wird die Gymnasiallaufbahn stehen, auf der anderen die berufsorientierte Ausbildung. Wie die aussehen soll, weiß keiner, nicht zuletzt deshalb, weil berufsbildende Schulen in Zukunft der regionalen Gesetzgebung unterliegen, während die allgemeinbildenden Anstalten unter der Fuchtel des Zentralstaats bleiben. Klar ist: Unter Berlusconi und Moratti bekennt sich Italiens Regierung wieder zu einer Bildungsphilosophie, die auf Auslese setzt.