Die Kirmes-Connection

Peru hat Witte nicht gefallen. Er konnte kein Spanisch. Das Klima war schlecht für die Elektrik

AUS BERLIN KIRSTEN KÜPPERS

Es war ein ganz großes Ding. 167 Kilo! In einem sicheren Versteck! Es hätte klappen können. Es hätte wieder ein Anfang sein können. Sie hätten Sekt und Champagner getrunken, die Musikanlage laut gestellt. Irgendwie wäre es gut weitergegangen. Aber die Sache ist schief gelaufen. Wie so vieles im Leben von Norbert Witte schief gelaufen ist.

Norbert Witte ist Schausteller von Beruf. Die Gefahr hängt diesem Gewerbe vielleicht irgendwie an, wahrscheinlich hat Witte das Abenteuer immer gesucht. Er ist jetzt 49 Jahre alt und sitzt als Angeklagter vor dem Landgericht Berlin. Das Vergehen ist eindeutig: Witte hat versucht, 167 Kilo Kokain in seinem Fahrgeschäft „Fliegender Teppich“ von Peru nach Deutschland zu schmuggeln.

Er hat es versucht. Aber es gab eine Razzia in Peru. Alle wurden verhaftet. Er hat jetzt nur noch seinen Anwalt. Norbert Witte sitzt auf der Anklagebank. Ein Mann mit voluminösem Seitenscheitel, Schnauzbart, ein geblümtes Hemd unter dem schwarzen Jackett. Witte sitzt zusammengesunken da und guckt auf das, was gewesen ist. Wahrscheinlich hat er einen melancholischen Film im Kopf. Die Lage sieht nicht besonders gut aus.

Norbert Witte hat schon vieles angestellt. Es scheint, als stehe er morgens auf, und die Dinge fingen an, sich in die falsche Richtung zu bewegen. Zum Beispiel hat Witte 1981 eine Katastrophe verursacht, die als das schlimmste Kirmesunglück der Nachkriegszeit gilt. Witte saß in einem Kran und hatte versucht, eines seiner Karussells auf dem Hamburger Rummel zu reparieren. Der Kran krachte in ein benachbartes Fahrgeschäft. Bei vollem Betrieb. Sieben Menschen starben, zwölf wurden schwer verletzt.

Hinterher stellte sich heraus: Der Kran war weder zugelassen noch versichert. Witte wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Es gibt Hinterbliebene der Unglücksopfer, die immer noch auf Geld von ihm warten.

1991 trieben die Geschäfte Norbert Witte nach Berlin. Er übernahm das ehemals volkseigene Vergnügungsgelände „Spreepark“ im Berliner Osten. Er selbst trat als Chef auf, war aber formell nur ein Mitarbeiter der Firma seiner Frau. Es hatte sieben Bewerber gegeben, aber dem Berliner Senat hatte Wittes Konzept wohl am besten gefallen. Es wurde aber nie verwirklicht. Von Anfang an gab es Streitereien mit dem Senat. Man stritt sich um Verträge und Baugenehmigungen. Der Spreepark lief nicht besonders gut. Witte behauptete, die fehlenden Parkplätze seien schuld. Es gab ein paar eigenmächtig gefällte Bäume im Naturschutzgebiet.

Es wollte einfach nicht funktionieren. Die Leute amüsierten sich anderswo. Im Spreepark schallte die Technomusik durch den Wald, die Wagen der Achterbahn rollten leer über die Schienen. Im Herbst 2001 zeichnete sich ab, dass es für den Spreepark keine neue Saison geben würde. Seiner Bank schuldete Witte damals über 10 Millionen Euro, dem Land Berlin etwa 800.000 Euro, auch die Leasingraten für seine Fahrgeschäfte standen noch aus. Die Dinge begannen Witte über den Kopf zu wachsen.

In Südamerika schienen die Verhältnisse plötzlich angenehmer als in Deutschland. Witte packte seine Koffer und flüchtete samt Familie auf einem Dampfer nach Peru. Er nahm sechs Geräte aus dem Fuhrpark mit, darunter den Fliegenden Teppich, den Jet Star und die Geisterbahn. Peru hat keinen Auslieferungsvertrag mit Deutschland abgeschlossen. In der Gerichtsverhandlung sagt Witte: „Das habe ich nicht gewusst.“ Man kann das glauben.

Norbert Witte kommt aus einer alten Hamburger Schaustellerfamilie. Er mag große Auftritte, vielleicht liegt das in der Familie. Sein Großvater hat sich 1913 einmal fünf Tage lang als König von Albanien ausgegeben. Später trat er in seiner Fantasieuniform in Revuen als „ehemaliger König von Albanien“ auf.

Es ist ein gutes Gefühl, wichtig zu sein. Im Januar 2002 gab es plötzlich Anrufe aus Peru. Norbert Witte meldete sich am Telefon und kündigte aus seinem Exil eine Fernsehübertragung an. In der Sendung wolle er die Berliner Politiker benennen, die seine dubiosen Geschäftspraktiken gedeckt haben sollen.

Das ist dann doch nicht passiert. Die Sendung kam nie zustande. Der Mann von der Leasingfirma wartet immer noch auf sein Geld. Der Berliner Spreepark liegt verlassen da. Der Zaun rostet, das Gras wächst hoch. Zwischen den Bäumen stehen kaputte Achterbahnen, vernagelte Eisbuden und zerbeulte Plastikfiguren, sie halten durch, bis die Demontage kommt.

Witte saß nun in Peru. In Lima ist es immerzu diesig, wegen der Luftverschmutzung. Witte hatte die Fahrgeräte auf den Platz hinter einem Einkaufszentrum aufgebaut und nannte die Anlage „Luna Park“. Aber die Luftfeuchtigkeit in Lima ist nicht gut für die Elektrik an den Geräten, auch Rost fraß sich durch den Lack. Peru hat Witte nicht gefallen. Er konnte kein Spanisch. „In Peru will jeder einen nur abkassieren“, sagt er. Witte wollte wieder zurück nach Hause.

Dazu brauchte er Geld. Ein alter Freund aus Deutschland kam ihn besuchen. Der Freund hieß Elio, und er schlug vor, Rohgold im Gehäuse des Fliegenden Teppichs zu verstecken, um es in die Schweiz zu schmuggeln. Es tat Witte gut, sich mal wieder mit jemandem auf Deutsch zu unterhalten. Er willigte ein. Ein paar Wochen vergingen. Die Sache kam nicht zustande. Das Gold war weg, oder die Schweizer hatten andere Möglichkeiten gefunden, es zu beschaffen.

Das war der Zeitpunkt, als Norbert Witte vor der McDonald’s-Filiale am Einkaufszentrum die Geldbörse gestohlen wurde. Witte stand auf dem Parkplatz und schrie herum, als plötzlich Elio, der Freund, wieder auftauchte. Elio hatte Wittes Geldbörse. Er hatte aber auch zwei üble Typen dabei, die Wittes Sohn Marcel von hinten mit einer Schusswaffe bedrohten. Elio war der Wortführer. Er erklärte Witte, dass sie jetzt Kokain im Fliegenden Teppich schmuggeln wollten. 700.000 Dollar sollte er für das Geschäft erhalten.

Witte fühlte sich nicht wohl bei der Sache. Ein paar Tage später erzählte er einem Bekannten von dem Plan. Er nannte sich Richard. Richard antwortete nicht so, wie Witte es erwartet hatte. Stattdessen sagte er: „Das klingt gut. Ich pack noch 200 Kilo Koks dazu!“ Vor Gericht erklärt Witte: „Da war ich sprachlos. Ich hab den Widerstand aufgegeben.“ Er sagt, er habe Angst gehabt. Die Hintermänner von Elio machten einen bedrohlichen Eindruck. Witte fürchtete, in ein Drogengeschäft italienscher Mafiabosse geraten zu sein. Er hatte eine Ahnung, bei der ganzen Transaktion unter die Räder zu kommen.

Es ist seine eigene Version, die Norbert Witte erzählt. Die Kriminalpolizei glaubt nicht, dass es genau so abgelaufen ist. Witte erzähle „eher an der Wahrheit entlang“, meint der ermittelnde Beamte. Die Staatsanwältin sagt: „Ich kann Witte nichts Gegenteiliges nachweisen. Aber wir haben keinerlei Anhaltspunkte, dass die italienische Mafia in die Sache verstrickt ist.“

Auf einem Garagengelände in Lima nahmen die Vorbereitungen ihren Lauf. Männer fuhren in Autos vor und reichten Plastiktüten mit Drogen heraus. 211 Päckchen wurden gepackt, sie wurden in den stählernen Hohlraum im Mast des Fahrgeschäfts geschweißt. Ende Oktober vergangenen Jahres stand der Transport unmittelbar bevor. Die Drogen sollten im Fliegenden Teppich auf dem Seeweg nach Holland gebracht werden. Von dort sollten sie auf den deutschen Markt gelangen. Witte reiste voraus, er wollte in Deutschland auf seinen Anteil warten.

Er wollte die Sache schnell hinter sich bringen. Er wusste nicht, dass Richard, sein Bekannter, in Wahrheit ein verdeckter Ermittler der peruanischen Drogenfahndung war. Richard hielt die Polizei auf dem Laufenden. Am 5. November schlugen die Beamten in Lima zu. Bei der Razzia zerlegten sie den Fliegenden Teppich noch am Hafen in alle Einzelteile. Sie nahmen fünf Männer fest, darunter auch Wittes 23-jährigen Sohn Marcel. Er wartet derzeit in einem peruanischen Gefängnis auf seinen Prozess. Am 6. November verhafteten Polizeibeamten Norbert Witte in Berlin.

Früher trug Norbert Witte zu seinem Schnauzbart einen breitkrempigen Hut, er hatte eine Rolex am Handgelenk und zeigte keine Scheu vor den Verwerfungen, die das Leben für einen wie ihn bereithält. Heute fehlen Witte die Voraussetzungen für Verwegenheit, auch der Gesundheitszustand ist zu schlecht. Er sitzt mit fahlem Gesicht im Gerichtssaal. Wegen der Medikamente, die er nehmen muss, fallen ihm fast die Augen zu. Er hat mehrere Herzinfarkte erlitten.

Die Situation bietet wenig Anlass für Hoffnung. Der Fliegende Teppich ist kaputt. Wegen der Spreepark-Geschichte erwartet Witte noch ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung. Die Scheidung von seiner Frau zieht sich hin. Monate, die keiner braucht. Die Frau arbeitet jetzt in einer Kneipe im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg und gibt Interviews. Sie sagt, es gebe in Peru noch ein Mädchen. Witte habe dem Mädchen ein Kind gemacht.

Norbert Witte wartet im Gerichtssaal. Ihm fallen fast die Augen zu. Heute kommt das Urteil. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.