Dunkel war die Nacht

Original und Nachahmung gehen eine gelungene Verbindung ein: Mit Wim Wenders‘ „Soul of a Man“ kommt der erste Teil der von Martin Scorsese angeregten Filmreihe über den Blues in die Kinos

VON CHRISTIAN BROECKING

Der Blues ist die Heldensaga des schwarzen Amerikas. Große Kunst, die unter widrigen Umständen entstand. Alte zahnlose Männer und Frauen bewahren heute noch das Gedächtnis des Blues, und ihre Gesichter tauchen in der von Martin Scorsese angeschobenen Bluesfilmreihe, die im letzten Herbst zum 100. Geburtstag des Genres im amerikanischen Fernsehen lief, immer mal wieder auf. Anders als in der zehnteiligen Serie des amerikanischen Dokumentarfilmers Ken Burns zur Geschichte des Jazz, in der es ja wesentlich um eine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Rassismus ging, steht bei Martin Scorsese der Blues als subjektive Geschichtsschreibung im Vordergrund. Die von ihm beauftragten Regisseure, darunter Clint Eastwood und Wim Wenders, sollten je einen Film über ihre ganz persönliche Beziehung zu ihrer Lieblingsmusik drehen. Mit dem Wenders-Film „The Soul of a Man“ startet nun heute der „Sommer des Blues“ in den hiesigen Kinos.

Dass auch ein Europäer den Zuschlag bekam, einen Film über jene originäre Kunst des schwarzen Amerikas zu machen, führte in den USA zu einigen Irritationen. Doch schließlich war es der so genannte weiße, von englischen Musikern wie Alexis Korner und John Mayall gespielte Blues, der die Wenders-Generation einst heiß auf das schwarze Original machte.

Dass genau dieser Umstand heute aus Sicht afroamerikanischer Bluesmusiker unverständlich erscheinen mag, muss hingenommen werden. Die Rezeptionsgeschichte schwarzer Musik läuft von Anbeginn in Bahnen, in denen das gute Gemüt der Fans von der Geldgier und rassistisch geprägten Haltungen und Handlungen der meist weißen Musikunternehmer nicht immer leicht zu trennen ist.

In dem Musikfilm „The Soul of a Man“, den Wim Wenders drei schwarzamerikanischen Blueshelden widmete, gehen dokumentarische Belege und Inszeniertes ständig ineinander über. Da mit einer alten Handkurbelkamera in Schwarzweiß gedreht wurde, wirkt der Übergang zwischen Originalfilmmaterial aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren und den mit Schauspielern nachgestellten Szenen verblüffend fließend. Da es kaum Foto- und Filmmaterial über Blind Willie Johnson, Skip James und J. B. Lenoir gibt, ist das eine mögliche Annäherung. Auch wenn die weißen Zähne der Schauspieler nicht so recht authentisch scheinen und ihnen die Armut nicht ins Gesicht geschrieben steht. Dafür klappt es aber mit der Imitation. Selten gelingt die Übereinstimmung zwischen der Originalmusik und den Gesten des Schauspielers so gut wie in diesem Film. Zu keinem Zeitpunkt ist „The Soul of a Man“ nur Playbackshow, eher hat man das Gefühl, dabei zu sein, wenn der jeweilige Darsteller die Songs seiner Protagonisten mimt und auf der Gitarre begleitet.

Aber zugleich schimmert auch eine eigenartige Glätte durch, als würde hier etwas ausgestellt. Anders als es dem Blues angemessen wäre, handelt „The Soul of a Man“ nicht vom puren Leben. Wenders schöpft nicht aus den Anekdoten, die der Blues kennt, er hält Distanz; er erzählt eine umständliche, andere Geschichte. Der Film beginnt weit weg. Mit einer Platte, „The Sound of Earth“, die 1977 mit der Raumfähre „Voyager“ ins All befördert wurde, um möglichen Außerirdischen vom Leben auf der Erde zu künden. Auf dieser Platte fand sich auch das Stück „Dark Was The Night“, das von dem Gitarristen und Sänger Blind Willie Johnson 1930 in Atlanta, Georgia, aufgenommen wurde. Diesem Blind Willie Johnson fällt in dem Film nun die Rolle des Erzählers zu, in der ersten Person lässt Wenders den Bluesmusiker die verschiedenen Kapitel moderieren. Über Skip James, der kurz vor seinem Tod Mitte der Sechzigerjahre bei einem Festival wieder auftauchte, nachdem er 33 Jahre zuvor, nach bittersten Erfahrungen, dem Musikgeschäft den Rücken gekehrt hatte. Und über J. B. Lenoir, der vor 40 Jahren in seinem „Vietnam Blues“ die Sinnlosigkeit des Krieges thematisierte und dem amerikanischen Präsidenten empfahl, sein Haus in Ordnung zu bringen, bevor er den Platz räumen muss.

In „The Soul of a Man“ – das ist die große Stärke dieses Films – sind nicht nur die Originalversionen dieser Bluesklassiker zu hören, Wenders gelang es, aktuelle Interpreten wie Cassandra Wilson, Marc Ribot, Bonnie Raitt und Eagle-Eye Cherry zu repräsentativen Coverversionen zu bewegen und sie dabei im Studio zu filmen. Nach der Kinovorstellung bleiben ein selten guter Soundtrack (Sony) und das große Gefühl, dass man gerade vorgeführt bekam, wie eine nahezu vergessene Musik ohne große Kompromisse in das Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit befördert werden kann, ohne dass sie gleich Pop ist.