Kolonien des Kinos

Es geht nicht um Hautfarben, es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Kommunikation möglich wird: Donald Muldrow Griffith leitet zum 18. Mal das „Black International Cinema“-Festival und zeigt dabei kulturelle, politische und historische Verbindungslinien quer durch die schwarze Diaspora auf

Griffith beherrscht die amerikanische Kulturtechnik des Positive ThinkingDie Wiedergewinnung von Geschichte ist ein wiederkehrendes Motiv

VON TOBIAS NAGL

Seit fast zwei Jahrzehnten findet das „Black International Cinema“-Festival nun schon in Berlin statt, und wer sich mit Festivalorganisator Donald Muldrow Griffith jemals unterhalten hat, wird sich seinem Charme und seiner Vision kaum entziehen können. Nein, erklärt er mit sanfter, eindringlicher Stimme, in Wirklichkeit geht es am Ende des Tages nicht allein um Hautfarbe oder Herkunft. Es geht darum, Situationen und Räume zu schaffen, in denen Kommunikation und Anerkennung möglich ist, in denen etwas Neues entstehen kann.

Schaut man ihm in die neugierig blinzelnden Augen, wenn er seine Vorstellung einer Rainbow Coalition ausmalt, dann hat man das Gefühl: Nichts leichter als das! Die uramerikanische Psychotechnik des Positive Thinking beherrscht er jedenfalls perfekt. Und das ist kein Wunder. Bevor Griffith sich dem Tanz, klassischen Gesang und der Choreografie verschrieb, studierte er Psychologie und arbeitete als Gruppentherapeut und Bewährungshelfer. 1979 kam er für eine Aufführung des Musicals „Showboat“ nach Berlin, lernte dabei seine spätere Frau, die gefeierte Primaballerina Gayle McKinney Griffith, kennen und lieben, gründete mit ihr nicht nur eine Familie, sondern auch das multimedial arbeitende Fountainhead Tanz Theater.

1986 entstand aus diesem Zusammenhang auch ein von Workshops und Seminaren flankiertes Low-Budget-Filmfestival, das sich den kulturellen, politischen und historischen Verbindungslinien quer durch eine schwarze Diaspora widmet, zu der auch immer schon die ehemalige Kolonialmetropole Berlin gehörte: Schnell wurde das Festival zur Anlaufstelle und zum Forum afroamerikanischer, afrodeutscher und afrikanischer Medienpraxis. Die Einstellung der Macher ist dabei denkbar pragmatisch. Blättert man durch alte Festivalkataloge, dann stößt man genauso auf einen kleinen Dank an Louis Farrakhan wie auf ausführliche Interviews mit lesbischen und schwulen Theoretikern und Filmemachern.

2004, in dem sich sowohl die Berliner Kongo-Konferenz wie der Herero-Aufstand jährt, hat sich das unter der Schirmherrschaft des Senats, der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität und des JFK-Instituts stattfindende Festival in seinem Vortrags-Beiprogramm die Erinnerung an den europäischen Kolonialismus auf die Fahnen geschrieben.

Der Berliner Filmemacher Martin Baer etwa widmet sich in Wort und Bild der Darstellung des deutschen Kolonialismus; der Jurist Christophe C. Kougniazonde aus Benin geht der Vorgeschichte und den Auswirkungen der in Berlin beschlossenen Aufteilung Afrikas durch die europäischen Mächte nach. Neben weiteren Vorträgen, die vom Verhältnis der African-Americans zur republikanischen Partei handeln, die Geschichte des schwarzen Nationalismus in den USA darstellen oder mit den Möglichkeiten digitaler Vertriebswege für Independent-Filmer vertraut machen, präsentiert das Festival ein weit gefächertes Filmprogramm zur verdrängten Geschichte und Gegenwart Menschen afrikanischer Herkunft.

Die faszinierende Dokumentation „Le Mozart Noir – Reviving a Legend“ (Regie: Raymond Saint-Jean) geht in diesem Sinne bis ins 18. Jahrhundert zurück und rekonstruiert mit den Mitteln der docu-fiction die vielschichtige Biografie des schwarzen Komponisten Le Chevalier de Saint-Georges (1745–1799). Er wurde als Sohn eines adligen französischen Kolonisten und dessen schwarzer Sklavin geboren, sein Vater war gegen den Rassismus der Zeit darum bemüht, ihm die bestmögliche Ausbildung zukommen zu lassen, und zog mit Frau und Kind nach Paris.

Nachdem Saint-Georges dort in einer renommierten Fechtschule den Degen zu meistern gelernt hatte, wurde er auch in Musik unterrichtet und entwickelte sich bald zum am Hof unter Marie Antoinette zum gefeierten Komponisten und Geigenvirtuosen, der den Bogen nicht nur auf neue, aggressive Weise wie einen Degen führte, sondern mit seinen schwierigen symphonies concertantes auch Mozart direkt beeinflusste und politisiert durch die Französische Revolution einer schwarzen Freiwilligen-Legion vorstand.

Der Wiedergewinnung von Geschichte widmen sich auch eine Reihe anderer Beiträge: J. J. Goldbergs Kurzfilm „Stone Mansion“ erzählt so etwa die Geschichte eines prominenten Ärztepaars am Abend der Rassenunruhen in Tulsa 1921; Hank Grays „A Time To Be Remembered“ erinnert an Abraham Lincolns Proklamation zur Sklavenbefreiung und William Greaves stellt zusammen mit Toni Morisson in Ida B. Wells „A Passion for Justice“ das Leben der berühmten afroamerikanischen Journalistin und Bürgerrechtlerin dar.

Einen weiteren Themenschwerpunkt bildet die Musik. Donnie L. Betts „Music Is My Life, Politics My Mistress“ dokumentiert das Schaffen des Sängers Oscar Brown, Jr., der über fünf Jahrzehnte Jazzästhetik und sozialen Aktivismus verband. Kevin Fitzgeralds „Freestyle: The Art of Rhyme“ ist ein Pflichttermin für HipHop-Heads und untersucht die Geschichte des improvisierten Rap von den Last Poets bis zu heutigen Consciousness-Rappern wie Mos Def, denen sich Joslyn Rose Lyons noch einmal in „Soundz of Spirit“ gesondert widmet. Einen dergestalt politisierten HipHop-Begriff zeichnet auch das afrodeutsche Kollektiv Brothers Keepers aus, das Abdel Rahman Satti in Brothers Keepers Go East auf einer Tour durch Ostdeutschland dokumentiert.

Youssef Rabbaouis Kurzfilm „Yolo“ schildert die ersten Stunden eines schwarzen Franzosen in Berlin und besticht durch eine so persönliche wie poetische Filmsprache. Von den Erfahrungen schwarzer Deutscher in der DDR handelt „Omulaude heißt schwarz“, während der vor dem Fall der Mauer entstandene „Black People, Black Berlin“ sich in Form von Interviews der Lebenssituation schwarzer Menschen in Westberlin widmet: Zu Wort kommt in ihm u. a. die afro-deutsche Historikerin, Lyrikerin und Aktivistin May Ayim. 7 Jahre vor ihrem Freitod 1996 hatte Ayim notiert: „ich werde trotzdem afrikanisch sein / auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt / und werde trotzdem deutsch sein / auch wenn euch meine schwärze nicht paßt“. Die Räume für Kommunikation und Anerkennung, von denen Festival-Leiter Donald Muldrow Griffith spricht, sie scheinen für May Ayim so nicht existiert zu haben.

Vom 6. bis 9. Mai, Klick Filmtheater, Windscheidstraße 19, Charlottenburg. Vom 8. bis 9. Mai Humboldt-Uni, Philosophische Fakultät III, Unter den Linden, Mitte. Vom 13.–16. Mai, Nickolodeon, Torstraße 216, Mitte. Termine: www.black-international-cinema.com