Ernüchterte Jugend

Mit der Steuer auf Alcopops will die Bundesregierung bewirken, dass die Hemmschwelle von Jugendlichen Alkohol gegenüber steigt. Die Getränkehersteller wollen gegen die Steuer klagen

Die Drogenbeauftragte erkennt die Zeichen der Zeit: „Sich gezielt die Kante zu geben ist ein neuer Trend. Das haben mir viele Einrichtungen zur Jugendhilfe berichtet“, sagt Marion Caspers-Merk (SPD). Auch Klaus Hurrelmann, Jugendforscher an der Universität Bielefeld, bestätigt diese Entwicklung, die in den vergangenen drei Jahren europaweit verstärkt beobachtet worden sei. Trend? Beim Blick in die persönliche Trink-Historie kann wohl kaum jemand behaupten, er habe sich in seiner Jugend nicht hin und wieder mal mutwillig alle Lichter ausgeschossen.

Doch während man früher die große Schwester mit dem Kauf von Berentzen beauftragte, besorgen Fünfzehnjährige heute Bacardi Rigo oder andere Alcopops problemlos selbst. Viele Händler kontrollieren das Alter ihrer Kunden nicht.

Für Politiker und Wissenschaftler ist die Alkoholindustrie hauptverantwortlich: sie bewerbe gezielt junge Menschen und forciere damit den Absatz alkoholhaltiger Mischgetränke. Fakt ist, dass „Alcopops“ den deutschen Getränkemarkt schnell eroberten, während der Absatz der klassischen Alkoholika in den vergangenen Jahren rückläufig war. Marktführer Smirnoff Ice hat von seinem Wodka-Limo-Mix im ersten Jahr nach der Einführung 2002 nach Unternehmensangaben mehr als 100 Millionen Flaschen verkauft. Bacardi kommt mit Rigo und Breezer auf vergleichbare Zahlen.

Ursprünglich waren die „Ready-to-Drinks“ (RTD) für junge Frauen konzipiert – denen Bier zu bitter und Sekt zu tussig ist. Doch nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtanfragen konsumieren 52 Prozent der 16- bis 17-Jährigen regelmäßig „Alcopops“. Sie sind den Geschmack von Limonade gewöhnt. Das Tückische an den Trendgetränken ist der hohe Zuckeranteil: er überdeckt den Alkoholgeschmack und lässt vergessen, dass der Alkoholgehalt so hoch ist wie der von starkem Bier. Zudem sorgt der Zucker dafür, dass der Alkohol schneller ins Blut gelangt. „Die Tatsache, dass Alcopops eher sehr süße Getränke sind, erinnert an die Situation von Verhaltensforschern, die Ratten alkoholabhängig machen wollen“, sagte der Münchner Suchtforscher Ulrich Zimmermann gegenüber dem ZDF. „Ratten trinken keinen Alkohol von sich aus. Aber wenn man Alkohol mit zuckerhaltigem Wasser vermischt, dann trinken Ratten das durchaus. Und wenn man den Zuckergehalt im Laufe der Zeit immer mehr reduziert, trinken die Ratten tatsächlich auch reinen, puren Alkohol.“

Um den Konsum bei Jugendlichen zu verringern, hat die Bundesregierung gestern beschlossen, Alcopops zu versteuern, mit ca. 83 Cent auf 0,275 Liter. Das Gesetz wird Anfang Juli in Kraft treten – wenn man in warmen Nächten draußen zechen kann. Einer polis-Umfrage im Auftrag der dpa zufolge halten 56 Prozent der Menschen in Deutschland das Gesetz für sinnvoll, 42 Prozent sind dagegen. Bei den unter 30-Jährigen plädieren nur 36 Prozent für eine Strafsteuer. Ob die Abschreckungsmaßnahme die erhoffte Wirkung zeigen wird, ist fraglich. 60 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sind der Ansicht, dass die Abgabe auf Alcopops Jugendliche zum Umsteigen auf andere Alkoholika bewegen werde. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforchungsinstituts TNS Emnid unter 2000 Befragten. Knapp 40 Prozent meinen, dass der Konsum von Alcopos zurückgeht.

Die erste alkoholische Limonade „Two Dogs“ wurde 1995 in Australien eingeführt und schnell auch in Großbritannien populär. Binnen sieben Wochen hat es dort der Konkurrent „Hooper’s Hooch“ geschafft, „Two Dogs“ zu überrunden. Mittlerweile werden Alcopops in vielen Ländern Europas vertrieben. In Frankreich und der Schweiz hat eine Steuer bereits Wirkung gezeigt – der Absatz von Alcopops wurde reduziert, und vor allem Jugendliche reagierten auf die Preiserhöhungen.

Verfassungsrechtler in Deutschland sehen in der Steuer einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz: „Mixgetränke mit Bier oder Wein haben zum Teil einen höheren Alkoholgehalt als einige Alcopos, werden aber von der Steuer ausgenommen“, sagte der Verfassungsrechtler und ehemalige Justizminister Rupert Scholz (CDU) dem Berliner Tagesspiegel. Die Steuer sei „abgabenrechtlich nicht in Ordnung“. Sie sei als Verbrauchssteuer deklariert, in Wahrheit handele es sich aber um eine Strafsteuer mit Verbotsfunktion. Scholz hat für den Bundesverband der deutschen Spirituosen-Industrie ein entsprechendes Gutachten erstellt. Diese kritisiert die Abgabe auf süße Mixgetränke auf Basis hochprozentigen Alkohols als verfassungswidrig – und erwägt nun eine Klage.

BIRTHE WENGE