Apropos Cool Britannia

Ein Busunfall passiert, ein Raubüberfall wird begangen, dazwischen wird gesoffen und geprügelt: Britspotting, das Festival für die britischen Low-Budget-Filme, hat begonnen. Diesmal mit Irish Focus

VON ANDREA EDLINGER

„Britspotting“ ist nicht einfach ein Filmfestival mit einem anspielungsreichen Titel. Mittlerweile hat sich das unabhängige Festival zum wichtigsten Forum für den britischen Film in Deutschland entwickelt. Zum fünften Mal sind nun also britische Low-Budget-Produktionen eine Woche lang in Berlin zu sehen. Das Angebot an Workshops im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe stieg über die Jahre kontinuierlich, und passend zum fünfjährigen Bestehen gibt es eine längst fällige Neuerung im Programm: Unter dem Titel „Irish Focus“ werden irische Produktionen (neun Spielfilme und eine Kurzfilmreihe) gezeigt.

Hier wartet das Programm gleich mit einer kleinen Sensation auf: mit „Intermission“, dem ersten Film des Theaterregisseurs John Crowley. Es ist die Geschichte einer Hand voll skurriler Personen (ein krimineller Psychopath, ein Ex-Busfahrer, ein selbstgerechter Bankmanager, ein Zivilpolizist mit Starallüren, zwei Schwestern) aus einer der heruntergekommensten Gegenden Dublins, deren Wege und Schicksale sich kreuzen. Ein Busunfall passiert, ein Raubüberfall wird begangen, dazwischen wird gesoffen und geprügelt. Mark O’Rowe, der Shootingstar der irischen Theaterszene, hat das Drehbuch zu diesem verrückten Film geschrieben, der zudem mit einer prominenten Besetzung aufwarten kann: Shirley Henderson („Harry Potter“, „Schokolade zum Frühstück“) spielt die verbitterte Sally mit Oberlippenbart. Kelly MacDonald („Trainspotting“, „Gosford Park“) ist ihre vom Freund traumatisierte Schwester.

„Intermission“ lief bereits erfolgreich in Großbritannien und wird vermutlich demnächst auch in die deutschen Kinos kommen – eine Ausnahme unter den Britspotting-Filmen. Und eben darin liegt die Stärke des Festivals. Hier werden Produktionen gezeigt, die kaum eine Chance haben, in Deutschland eine Verleihfirma zu finden. Hinzu kommt die gute Mischung des Programms. Über 30 Produktionen mit enormer Bandbreite laufen in drei Kinos: von Absolventenfilmen, Erstlingswerken, über Fernseh- und Kurzfilme bis hin zu bereits erfolgreich gelaufenen Produktionen.

Auch dieses Jahr wieder werden am Ende des Festivals Preise für den besten Spiel-, den besten Dokumentar- und den besten Kurzfilm verliehen. Die Jurys setzen sich aus Journalisten, Filmregisseuren und Kulturbeauftragten zusammen, einzig der beste Kurzfilm wird von einer reinen Publikumsjury ermittelt.

Ein preisgekrönter Film kommt zurück nach Berlin: „Bloody Sunday“, der Gewinner des Goldenen Bären 2002. Erstaunlicherweise hat Paul Greengrass’ Film noch immer keinen deutschen Verleih gefunden. So läuft er eben wieder auf einem Festival. In „Bloody Sunday“ wird das Schicksal von vier Personen, die am Protestzug der nordirischen Bürgerrechtsbewegung im Januar 1972 teilnahmen, nachgezeichnet.

Empfehlenswert sind daneben auch Andrea Vecchiatos „Luminal“, ein Zukunftsszenario von sex- und drogenabhängigen Jugendlichen, und Thaddeus O’Sullivans wunderbar inszenierte Dreiecksgeschichte „The Heart Of Me“. Ohnehin fällt das breite Themenspektrum im Spielfilmprogramm positiv auf.

Über fünf Jahre hinweg wurde ein Themenschwerpunkt bei Britspotting immer hoch gehalten: die Musik. So ist es zur Tradition geworden, originelle Musikvideos zu zeigen. 2004 hat das „Mirrorball“-Team des Edinburgh Film Festivals unter dem Titel „New Work“ extra für Britspotting 70 Minuten lang feinste Popmusik zusammengetragen. Mit vertreten sind Franz Ferdinand und etablierte Bands wie Radiohead oder Blur.

Apropos Cool Britannia: Einen ernüchternden Rückblick auf die 1990er-Jahre bietet John Dower mit seiner Dokumentation „Live Forever“. Dower fängt die euphorische Aufbruchstimmung ein, die damals das ganze Land überzog, zeigt eine wild feiernde Generation auf Freiluftkonzerten wie dem Stone Roses Play auf Spike Island. Stars wie die Gallagher-Brüder, Damon Albarn oder der Künstler Damien Hirst kommen zu Wort – sie posierten damals in Vanity Fair ebenso wie Tony Blair. Irgendwie ging das zusammen, und wenn man Dowers Film ansieht, weiß man nicht genau, ob darin nicht von Beginn an ein großer Irrtum lag.

Bis zum 12. Mai im Acud, Veteranenstr. 21, Mitte; Central, Rosenthaler Str. 39; fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg. Programm unter www.britspotting.de