Risikofaktor George Bush

Der US-Präsident hat den „Krieg gegen den Terror“ verloren. Dieses Scheitern enthüllt sein renommierter Terrorexperte Richard Clarke

VON MICHAEL STRECK

Die Halbwertszeit medialer Aufmerksamkeit ist in den USA besonders kurz. Umso beachtlicher ist es, dass ein Buch drei Wochen lang in den Bestsellerlisten blieb, sein Autor von den Medien hofiert wurde und das Werk die Regierung tagelang in schwerste Bedrängnis brachte. Doch einen Monat später fragt man sich: War da was?

Anfang April löste das Buch „Against all Enemies“ (Gegen alle Feinde) des Terrorexperten Richard Clarke bei seinem Erscheinen ein politisches Erdbeben aus. George W. Bush habe den Antiterrorkampf sträflich vernachlässigt; die Bemühungen seines Vorgängers Bill Clinton seien viel effektiver gewesen als gemeinhin angenommen. Zudem habe der Irakkrieg dem islamischen Terrorismus neuen Auftrieb gegeben. So lauten Clarkes ketzerische Thesen. Plötzlich war Bush nicht mehr der Garant der nationalen Sicherheit, sondern ein Risikofaktor. Manche prophezeiten sodann bereits den Anfang vom Ende seiner Präsidentschaft. Wie sich herausstellte, wackelte der Präsidentenstuhl zwar ein wenig, doch Bush scheint mit dem Schrecken davongekommen zu sein.

Was im politischen Establishment der Hauptstadt, in Denkfabriken und Gelehrtenzirkeln für Wirbel sorgt, dringt selten über die Appalachen gen Westen vor und beeinflusst die Haltung vieler Amerikaner offenbar kaum. Es ist eine Illusion – gepflegt diesseits wie jenseits des Atlantiks –, zu glauben, brisante Aufklärungsliteratur könne die politische Großwetterlage in den USA beeinflussen. Allenfalls, und auch das ist eine bittere Erkenntnis, zementiert sie die vorhandene ideologische Haltung im jeweiligen politischen Lager.

Dabei ist Clarke selbst über den ideologischen Verdacht erhaben, er habe ein Anti-Bush-Buch schreiben wollen. Der 53-Jährige arbeitete viele Jahre als Antiterrorkoordinator mehrerer US-Regierungen. Er diente Republikanern und Demokraten gleichermaßen und gehörte dem Nationalen Sicherheitsrat an. Hier erzählt und reflektiert nicht ein geschasster Regierungsbeamter, wie im Januar Exfinanzminister Paul O’Neill, der sich an seinem Chef rächen will, sondern einer der renommiertesten Terrorexperten der USA und Insider der Washingtoner Sicherheitsbürokratie. Die Brisanz des Buches ergibt sich eher aus der Person, weniger aus dem Inhalt. Vieles ist nicht neu, doch indem Clarke es ausspricht, bekommt es größeres Gewicht.

Das Buch ist eine Mischung aus Drama, Biografie und Analyse. Zuweilen packend geschrieben, zieht es den Leser gleich auf den ersten Seiten in seinen Bann. Clarke beschreibt dort Aufruhr und Chaos im Weißen Haus am 11. September, in deren Verlauf rasch feststeht: Die Attentate sind das Handwerk von al-Qaida. Doch bevor noch die Rauchschwaden auf dem zerstörten World Trade Center verflogen sind, nehmen Bush & Co. den Irak ins Visier.

Clarke berichtet, dass bereits einen Tag nach den Anschlägen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld empfahl, den Irak zu bombardieren, und dabei witzelte, in Afghanistan gebe es schließlich nicht genug Angriffsziele. Lediglich der besonnene Außenminister Colin Powell stemmt sich anfänglich gegen die Irak-Besessenheit im Regierungskabinett.

Der 11. September, so die Ansicht Clarkes, habe Bush die einmalige Chance geboten, die nach dem Wahltheater 2000 bitter geteilte Nation zu einen, Amerika und die Welt im Kampf gegen Terrorismus zusammenzubringen, al-Qaida zu eliminieren und Ländern zu helfen, die durch Fundamentalismus bedroht sind. „Er tat nichts von dem. Er marschierte im Irak ein.“

Clarkes vielleicht schwerster Vorwurf an Bush: Er sei in die Falle von Terrorfürst Ussama Bin Laden getappt. Der Irakkrieg diene al-Qaida als riesiges Rekrutierungsprogramm und wirke als Beschleuniger bei der Verbreitung des islamischen Fundamentalismus.

Da der Irakkrieg alle verfügbaren Ressourcen absorbiere, resümiert Clarke im Kapitel „Richtiger und falscher Krieg“, gingen außerdem die US-Kommunen trotz gegenteiliger Ankündigung der Bush-Regierung beim Katastrophenschutz leer aus. Das Land sei daher auf Anschläge mit chemischen oder biologischen Waffen weiterhin unzureichend vorbereitet.

Als Folge des törrichten Irakfeldzugs entwirft Clarke ein Schreckensszenario für die nahe Zukunft. Im Atomwaffenland Pakistan herrscht eine talibanähnliche Regierung, die ein Satellitenregime in Afghanistan unterstützt und weltweit eine Ideologie des Terrors verbreitet. In der Golfregion fördert eine Nuklearmacht Iran den Hisbollah-Terror, und in Saudi-Arabien regiert nach dem Sturz des Königshauses Saud eine mittelalterliche Theokratie. „Selbst mit einem demokratischen Irak wären Amerika und die Welt weit unsicherer als zuvor“, warnt Clarke.

Die Konsequenzen des Irakkrieges nehmen jedoch den geringeren Teil des Buches ein. Clarke spannt einen weiten Bogen, von der Entfaltung des islamischen Terrors in den Achtzigerjahren, der Terrorabwehr der Clinton-Regierung bis hin zum 11. September. Er liefert eine spannende und detaillierte Analyse der komplizierten politischen Gemengelage im Nahen Osten vor und nach dem ersten Golfkrieg, in deren Folge Saddam Hussein an der Macht blieb und Bin Laden zur Ikone muslimischer Fanatiker aufstieg.

Selbst wenn Bin Laden den Amerikanern alsbald ins Netz gehen sollte, wird dies keine Schockwellen mehr durch das Terrornetzwerk von al-Qaida senden, argumentiert Clarke. Der Irakkrieg verschaffte ihm eine Verschnaufpause, die es für die Reorganisation nutzte. Der einköpfige Drachen, so Clarke zu Recht, hat sich längst zu einer vielköpfigen Hydra entwickelt.

Richard Clarke: „Against all Enemies. Inside America’s War on Terror“. Simon & Schuster, New York 2004, 30 Dollar (erscheint am 1. Juni unter dem Titel „Against all Enemies. Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror“ bei Hoffman & Campe, 19,90 Euro)