Noch ein Phaeton, noch ein Bild

Bizarre Momente der Rezeption: In der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden lässt sich derzeit Malerei bewundern. Die Ausstellung „Fehlfarben“ bringt Kunst in die Fabrik. Ob die Kunst aber, wie angekündigt, gleichberechtigt neben der Wirtschaft steht, darf bezweifelt werden

VON ROBERT HODONYI

In einer Werbebroschüre der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden heißt es: „Genießen Sie den unmittelbaren, freien Blick auf die Fertigung unserer Automobile. Nur durch eine Glasscheibe getrennt werden Sie Zeuge einzigartiger Prozesse in außergewöhnlichem Ambiente.“ Der Einblick in die Fertigung des VW-Modells Phaeton wird dieser Tage um aktuelle Positionen moderner Malerei ergänzt. In Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden entstand die von Ulrich Bischof und Birgit Dalbajewa kuratierte Ausstellung „Fehlfarben. Neue Malerei aus München, Dresden, Leipzig, Berlin“, die sowohl im Residenzschloss als auch in der Gläsernen Manufaktur zu sehen ist. Das Projekt stellt den Beginn einer längerfristigen Kooperation beider Institutionen dar. Es widmet sich dabei ganz der Malerei und setzt damit den viel zitierten Trend zu Leinwand, Farbe und Pinsel in der zeitgenössischen Kunst fort, wie er bereits im vergangenen Jahr in den Ausstellungen „deutsche malerei zweitausenddrei“ (Frankfurt am Main), „Painting on the Roof“ (Mönchengladbach) und „Painting Pictures“ (Wolfsburg) vorgeführt wurde.

Im Mittelpunkt des Ausstellungskonzepts stehen von der Natur und der architektonischen Wirklichkeit abweichende Farben, deren Verwendung sich vor allem in digital hergestellten Bildvorlagen spiegelt. „Fehlfarben signalisieren einen Bruch im Farbenspektrum der modernen Malerei – so wie die Gläserne Manufaktur einen Bruch im üblichen Verständnis einer Fabrik bedeutet“, heißt es im Katalog. Ob die gezeigten Bilder wirklich „künftige Sehgewohnheiten einüben“ und ob, damit angeblich korrespondierend, die Formen- und Farbensprache der Gläsernen Manufaktur tatsächlich dem „Bild der Fabrik der Zukunft“ entspricht, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Bemerkenswert ist die Hervorhebung des Standorts für die ausgestellten Kunstwerke allemal. Die damit verbundene Tendenz zur Ökonomisierung der Kunst, welche vor allem topografisch und auf der Ebene der Wahrnehmung vollzogen wird, lässt aufhorchen.

Die Bilder in der VW-Fabrik von Martin Borowski, Eberhard Havekost, Martin Kobe, Wolfgang Koethe, Uwe Kowski, Peter Krauskopf, Sophia Schama und Rosa Loy werden zur Staffage des industriellen Herstellungsprozesses. Gegen die silbrige Dominanz und futuristische Ästhetik der Innenarchitektur sowie gegen den Takt der ständig sichtbaren Fließbänder und Hängemontagen kommen sie jedenfalls nur schwer an. Ihre Hängung an den teilweise extra eingebauten Ausstellungssystemen ist so gewählt, dass bestimmte Bildsujets formal mit architektonischen Details der Fabrik harmonieren. Eberhard Havekosts Arbeit „Stuhl“ (2003) zum Beispiel, das die Fassade eines Hauses mit vier übereinander angeordneten Loggien zeigt, findet ihre Fortsetzung im balkonartigen Abschluss der Wand oberhalb der so genannten „Orangerie“ der Gläsernen Manufaktur.

Martin Borowskis „Lobby II“ (2002), vom Format her ein lang gestrecktes Rechteck, dessen graue Umgrenzung beim ersten Blick an einen Bildschirm erinnert, hängt in Nachbarschaft von mehreren Breitwandmonitoren mit Touchscreens, die interaktiv auch die letzten Wissenslücken hinsichtlich des VW-Phaetons schließen. Die „Ablage“ im gleichnamigen Bild von Rosa Loy kann in Bezug gesetzt werden zum schräg dahinter befindlichen Fahrstuhlsystem. Es ergeben sich auch bizarre Momente der Rezeption: so etwa, wenn man vor Sophia Schamas Bild „Technoide Landschaft 1.“ (1998) steht und gleichzeitig seitlich davon VW-Monteure in weißen Overalls bei der Arbeit im Qualitätssicherungsbereich zusehen kann. Kunstbetrachtung, touristischer Blick und Voyeurismus verschränken sich.

Kunst und Wirtschaft sollen in der Gläsernen Manufaktur als gleichberechtigte und diskursmächtige Felder nebeneinander gestellt werden: „Die Verknüpfung von ‚Art & Economy‘ macht deutlich, dass Kunst und Wirtschaft gleichberechtigt teilhaben an dem öffentlich ausgetragenen Diskurs über Kontinuität, Tradition und Erneuerung“, formuliert Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, im Vorwort des Katalogs. Offen bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, von welcher Kontinuität, Tradition und Erneuerung hier überhaupt die Rede ist. „Art & Economy“ heißt heute zunehmend, wie Isabelle Graw kürzlich in der taz berichtete, die warenförmige Verfügbarkeit künstlerischer Arbeiten für den Markt unter Ausschaltung von Produzenten und Kritikern. Kunst wird wie andere Luxusgüter auch gehandelt, konsumiert und zum reinen Tauschobjekt. Insofern ist es kein Widerspruch, wenn der Parcours durch die Gläserne Manufaktur neben Luxuskarossen auch Bilder zeigt, die für die meisten Besucher ebenso unerschwinglich bleiben wie ein VW-Phaeton.

Ausstellung bis zum 30. Mai