Keine Macht den Klingeltönen!

Die Zukunft nach dem Crash: Auf dem „Pop Up“-Festival in Leipzig trafen sich am Wochenende 120 deutsche Independent-Labels zum Gedankenaustausch

Statt um Musik-Downloads kreiste alles um Schallplatten in Grabbelkisten

Das unabhängige Musikgeschäft von 2004 sieht aus wie das unabhängige Musikgeschäft von 1977: Nietengürtel, Vinyl, Nischenkultur. Die guten, alten Punkrock- Mythen „Do It Yourself“ und „Independent“ spuken durch das backsteinerne Areal im Leipziger Werk II: ein überaus passender Tagungsort für das Clubfestival „Pop Up“, das sich mit viel Herzblut und einem Mini-Etat von 19.000 Euro im dritten Jahr endgültig etabliert hat und am Sonntag zu Ende ging.

Der Alternativstadtteil Connewitz eignet sich ideal als Rückzugsraum für eine arg zerzauste Zunft. Draußen auf der Karl-Liebknecht-Straße kostet der Döner einen Euro, drinnen in der Halle A haben rund 120 Firmen 50 Euro Stand plus zehn Euro Stromgebühr für einen mit Raufasertapete verkleideten Biertisch bezahlt.

Mit klangvollen Indie-Adressen wie L’age D’Or, Compost oder Kitty Yo ist die „Pop Up“-Messe das erste größere Treffen der deutschen Musikbranche seit dem „Schwarzen Freitag“ Ende März. Damals hatten gleich drei Majorlabels ihr Personal drastisch reduziert. Als kleiner Nachklapp kündigte vier Wochen später die Berliner Dependance von Richard Bransons V2 Records eine Zusammenlegung des „back office“ mit dem befreundeten Label Ministry of Sounds. Und halbierte sogleich ihre Mannschaft in Deutschland auf nunmehr fünf Festangestellte.

Von den über 70 Bands und DJs, die 2004 für kleines Geld auf der „Pop Up“ auftraten, besaß die verdiente Hamburger Textrockband Die Sterne sicherlich den prominentesten Namen. Nach dem rasanten Aufstieg Mitte der Neunziger mit einem Industrie-Vertrag bei Sony Music landeten Sänger Frank Spilker und Co mit ihrem siebten Album „Das Weltall ist zu weit“ (wird am 24. Mai erscheinen) pikanterweise bei V2 records, die – nun schmerzlich gesundgeschrumpft – genau in jenen Bands ihre Zukunft sehen, die von den internationalen Konzernen als nicht profitabel genug aussortiert wurden: „Back to the roots“ als trotziges Überlebenskonzept. Nur das Prinzip Indie ermöglicht ein Weitermachen.

Nur redet heute niemand mehr davon, die Konzerne mit drei Akkorden wegzublasen. Oder auch nur aus dem Stand 200.000 Alben zu verkaufen, wie es damals Rough Trade mit „Inflammable Material“ der nordirischen Gitarren-Krawallos Stiff Little Fingers gelang. Aggressivität und Aufruhr gehören ohnehin nicht zum Repertoire der „Pop Up“, im Gegenteil: Jeder beharkt emsig sein Gärtchen. Minimal-Elektroniker frickeln friedlich neben verwegen frisierten Dark-Wave-Entrepreneuren. Wenn es überhaupt artikulierte Abgrenzung gibt, dann (ironischerweise?) gegen die Verheißungen der digitalmobilen Zukunft. „Mich interessieren Klingeltonanbieter und so überhaupt nicht“, verkündete etwa Thorsten Seif vom Hamburger Buback-Label (Absolute Beginner, Jan Delay) bei einer Diskussion darüber, was den Underground heutzutage überhaupt noch definiere. „Man weiß eben, was man nicht will!“

Und dazu gehören offenbar genau jene digitalen Geschäftsfelder, die anderswo als einzige kommerzielle Überlebenschance für die Popmusik gesehen werden. „Gegen null“ taxiert auch Peter Wacha vom Münchner Traditions-Indie SubUp seine Umsätze mit downloads und Ähnlichem. Selbst eine von New York bis Tokio verehrte In-Band wie Chicks On Speed verkauft sich via SubUp weiterhin auf klassischen Vertriebswegen.

Die so oft beschworenen Segnungen des Technologie-Universums kommen dagegen nur hoch ironisiert vor – wenn etwa Dorfdisco Berlin ihre MP3-download-Plattform „Potato System“ vorsorglich als „Cybergeschwätz“ ankündigt. Zumindest in Leipzig gewinnt man den Eindruck, dass die jahrelange Geschäftemacher-Debatte jeglichen Sex aus dem digitalen Musikvertrieb vertrieben hat. UMTS und so gehört ohnehin fiesen Konzernen.

Dann doch lieber Schallplatten in Krabbelkisten. So hinterließ die Insolvenz des EFA-Vertriebs, der insbesondere vielen Kleinstlabels eine überregionale Präsenz sicherte, bislang erstaunlich wenig Lücken. Die kleinteiligen, mal vier-, mal fünfstelligen Forderungen scheinen wie versickert in der berühmten Wertschöpfungskette: Künstler bekommen halt ihre Prozente nicht. Labelmacher stopfen die gerissenen Ausfälle mit Paralleljobs oder Privatknete. Es muss halt weitergehen. „Auch ohne spektakuläre Pleiten bleibt vieles irgendwo hängen“, zieht Michael Reinboth vom Compost-Label seine Bilanz zum zehnjährigen Geschäftsjubiläum. „So gesehen müsste man sowieso alles selber machen – bis hin zum letzten Vertrieb in Jordanien.“

RALF NIEMCZYK