Bilder als Waffen

Der Amerikaner Nicholas Berg musste im Irak sterben, damit sein Tod gefilmt wird. Videos und Fotografien mutieren zu Waffen. Wer diese Bilder zeigt, macht sich zum Komplizen. Doch wo hört Dokumentation auf, wo beginnt die Sensationslust?

Was darf eine Zeitung zeigen? Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärung und Komplizenschaft?

Nicholas Berg ist tot. Islamisten haben dem 26-jährigen US-amerikanischen Geschäftsmann vor laufender Videokamera den Kopf abgeschnitten. Die Mörder haben das Video ins weltweite Internet gestellt und ihre Tat mit der Misshandlung irakischer Gefangener durch die US-Armee begründet.

Der Mord an Nicholas Berg ist eine Zäsur im Kampf um die Macht der Bilder. Wir können uns bei einer Veröffentlichung nicht auf Dokumentationspflichten oder öffentliches Interesse berufen. Denn mindestens in diesem Falle verschwindet die Trennung zwischen Tat und Dokumentation. Wie beim Snuff Porno, der den realen Mord eines Opfers zeigt und zu hohen Preisen illegal gehandelt wird, musste Nicholas Berg nur sterben, damit sein Tod gefilmt werden konnte. Der Schock, der den Betrachtenden ergreift, ist das Motiv für die Tat. Die Kamera, die die Bilder aufnimmt, gehört zum Tatwerkzeug wie das Messer, das den Kopf abschneidet. Wer die Bilder zeigt, wird zwangsläufig zum Instrument der Täter.

Die letzten Wochen waren geprägt von Bildern extremer Gewalt. Die Folterungen und Demütigungen irakischer Häftlinge. Die lachende Lynndie England. Die Hamas-Attentäter, die Körperfetzen ihrer Opfer in die Kamera halten. Und jetzt Nicholas Berg, dem von maskierten Männern langsam der Kopf abgeschnitten wird. Es reicht.

Es kann für den Umgang mit den Dokumenten von Grausamkeit keine eindeutigen Regeln geben. Existieren keine Bilder, werden Kriege aseptisch, sauber, unpersönlich. Oder ihre Existenz wird gar nicht erst wahrgenommen – wie bei den Kriegen im Kongo oder im Sudan, von denen es fast keine Fotos gibt. Das macht solche Kriege führbar. Bilder sind wichtig.

Denn Menschen sind nicht von Natur aus grausam und abgestumpft gegen Gewalt. Die meisten empfinden Gewalt als furchtbar und wenden sich mit Schrecken ab. Wer gerade einen wehrlosen, gefesselten Mann getötet hat, kann auf keinerlei Sympathie zählen; er hat alle Emotionen gegen sich, egal wofür das Opfer stand. Nicht zuletzt deshalb werden keine Bilder von Hinrichtungen in den USA veröffentlicht.

Gleichzeitig aber überhöht die Tat die Macht des Täters – und diese Macht, womöglich nur für wenige Minuten so absolut vorhanden wie im Augenblick des Tötens, verewigt sich durch die Fotografie. Der Täter kann Wut auslösen – vor allem aber Angst. Und Angst vor dem Gegner ist im Krieg gleichbedeutend mit Respekt – ein gewollter Effekt.

Der gleiche Effekt übrigens, der auch der Choreografie des 11. September 2001 zugrunde lag und den Anschlägen von Madrid am 11. März 2004. Es gibt ein Foto von dem durch die Bomben aufgerissenen Zug im Bahnhof von Atocha, das um die Welt ging. Die Leichen, die in und vor dem Zug liegen, sind mit Laken und Tüchern abgedeckt. Nur eine nicht. Kaum zu erkennen, eingeklemmt hinter einem Sitz im rechten Bildausschnitt, schaut der Kopf einer toten Frau hervor. Einige Magazine, die dieses Foto verwandt haben, haben den Ausschnitt retuschiert – andere nicht. Wer hat Recht?

Gestern Nachmittag sollte der US-amerikanische Senat die anderen, noch nicht veröffentlichten Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis vorgeführt bekommen, unter besonderen Vorkehrungen. Der Senatsausschuss wird keine Täter ermitteln, das können die Behörden auch allein – wenn sie es denn wollen. Was also reizt die Senatoren eigentlich? Was können sie besser machen, wenn sie die Bilder kennen? Gerade sie, die als verantwortungsvolle Politiker mit dem Verstand reagieren sollen, bestehen darauf, jenes Material zu sichten, das vor allem ihre Sinne anspricht, ihre Emotionen. Warum?

Und mal ehrlich: Wie viele LeserInnen auch dieser Zeitung werden versuchen, sich die Website Muntada al-Ansar herbeizugoogeln, um das vollständig zu sehen, was im „heute journal“ am Dienstagabend noch in dem Moment abgebrochen wurde, als der maskierte Täter das Messer aus der Jacke zieht? Wie viele von uns überkam ein wohliges Schaudern, als wir gestern die Seite 2 der Bild-Zeitung aufschlugen, auf der der abgetrennte Kopf von Nicholas Berg zu sehen war? Was geschieht mit uns, warum wollen wir so etwas sehen?

Nein, kein Verständnis, keine Entschuldigung, kein Herausreden. Es gibt keinen Grund, diese Bilder sehen zu wollen, der zu akzeptieren wäre. Zeit, eine klare Grenze zu ziehen. Wir können politisch betroffen sein, ohne zu Schaulustigen zu werden. Wir dürfen nicht mitmachen. Als Journalisten nicht – und als Menschen auch nicht. BERND PICKERT