Der Familienrat

AUS FRANKFURT AM MAIN MATTHIAS THIEME

Ein Skandal erschüttert den gläsernen Turm in Frankfurt. Was sich derzeit in der Zentrale der Commerzbank abspielt, taugt je nach Betrachtung zum Kriminal- oder zum Schmierenstück. Bei der heutigen Betriebsversammlung im Auditorium des Hochhauses stehen heikle Vorgänge zur Debatte: Es geht um den Vorwurf der massiven Wahlfälschung, um plötzlich verschwundene Dokumente, um Lügen und Intrigen im Betriebsrat.

In dem Gremium halten seit Jahren Betriebsratschef Alfred Seum und seine Ehefrau Gabi Seum die Zügel fest in der Hand. Seit 1987 sind sie in der Bank als freigestellte Betriebsräte aktiv. Alfred Seum ist seit 1990 der Chef der Arbeitnehmervertretung in der Frankfurter Zentrale. Seine Frau sitzt neben ihrer Arbeit als Betriebsrätin auch als hochrangige Funktionärin der Gewerkschaft Ver.di in der Tarifkommission der Banken. Die Seums sind engagierte Arbeitnehmervertreter, die den Managern der Commerzbank schon des Öfteren den Marsch geblasen haben, wenn es um die bedrängten Rechte der Angestellten ging.

Doch jetzt geht es um die Frage, ob das Ehepaar über Jahre hinweg trickreich mehrere Betriebsrats- und Aufsichtsratswahlen gefälscht und Vetternwirtschaft betrieben hat. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Wahlfälschung eingeleitet, teilt Sprecher Rainer Schilling mit.

Die Vorwürfe sind gravierend: Bei den Betriebsratswahlen 1997 und 2002 sowie den Aufsichtsratswahlen 1998 und 2003 sollen die Seums zugunsten der eigenen Kandidatenliste das Wahlergebnis massiv verfälscht haben, berichten Zeugen, die sich auch an die Hausjuristen der Bank gewandt haben. In eidesstattlichen Versicherungen wird von den Zeugen detailliert geschildert, wie das Ehepaar Seum die Wahlmanipulation ins Werk gesetzt haben soll.

„Bei der Betriebsratswahl 1997 habe ich gehört und gesehen“, versichert ein Zeuge an Eides statt, „wie Frau Seum erklärt hat, dass man in die Stimmabgabe in der Form eingreifen muss, dass man umfangreich Stimmzettel selbst ausfüllt, um den Ausgang der Wahl für den noch amtierenden Betriebsrat zu entscheiden.“

Die Wahlen, an denen tausende Commerzbank-Angestellte teilnehmen konnten, zogen sich über mehrere Tage. Weil „die Gefahr einer Entdeckung dieser Manipulation in der Bank zu groß“ gewesen sei, sei das Betriebsrats-Ehepaar „dick bepackt mit Blanko-Stimmzetteln und entsprechenden Umschlägen“ zu seinem privaten Wohnsitz nach Lahnau gefahren. Am nächsten Tag seien die Seums „mit den präparierten Umschlägen angereist“, hätten die „Wahlurnen geöffnet und die Stimmzettelumschläge dort eingeworfen“. Alfred und Gabi Seum bestreiten die Vorwüfe. Doch Zeugen berichteten dem Hausjuristen der Commerzbank, dass in ähnlicher Weise auch die Betriebsratswahl 2002 und die Aufsichtsratswahlen 1998 und 2003 gefälscht worden seien.

Die Wahlen gingen für die beiden Betriebsräte und Ver.di-Mitglieder Seum erfolgreich aus. Dennoch soll Gabi Seum nach der Aufsichtsratswahl 1998 nicht ganz zufrieden gewesen sein und gesagt haben: „Hätte ich 50 Stimmzettel mehr eingeworfen, hätten wir noch einen Sitz mehr für unsere Kandidaten aus Frankfurt bekommen.“ Auch das versichern Augenzeugen eidesstattlich.

Ver.di schützt

Die Frage, ob vielleicht Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat saßen und weiterhin sitzen, die mittels einer Wahlfälschung ins oberste Kontrollgremium der Bank kamen, scheint die Gewerkschaft bislang nicht sonderlich zu interessieren.

Ver.di nimmt die Seums, die bei der Commerzbank eine Menge neuer Mitglieder rekrutiert haben sollen, gegen die Vorwürfe in Schutz: „Für uns gibt es keine Anhaltspunkte, dass eine Wahlfälschung geschehen ist“, sagt der zuständige Ver.di-Gewerkschaftssekretär Herbert Bayer. Andere Betriebsratsmitglieder, die eine Aufklärung der Vorwürfe verlangen, drängt Bayer mittlerweile wegen „gewerkschaftsschädigendem Verhalten“ aus ihren Funktionen und versagt ihnen die Teilnahme an Veranstaltungen der Gewerkschaft.

Für eine Ablösung des Betriebsratsvorsitzenden und seiner Frau sieht Bayer keinen Grund. Als „herausgehobene Ver.di-Funktionärin“ genieße Gabi Seum das Vertrauen der Arbeitnehmerorganisation und sitze auch weiterhin in der Tarifkommission der Banken, so der Gewerkschaftssekretär.

Doch weitere Zeugen, die sich an die Juristen der Bank gewandt haben, belasten die Seums schwer und liefern detaillierte Schilderungen der angeblichen Wahlmanipulationen: Die Wahlunterlagen für die Betriebsratswahlen 1997 seien bei einer Druckerei im hessischen Lahnau gedruckt worden, die in der Nähe des Wohnsitzes der Seums gelegen sei und deren Inhaber ein Bekannter der Seums gewesen sei. Die Druckerei habe statt der benötigten 5.000 Wahlzettel etwa 7.000 Unterlagen gedruckt, der Bank aber nur die offizielle Anzahl von 5.000 in Rechnung gestellt, so der Zeuge.

Nach der Schließung der Wahllokale seien die Wahlurnen geschlossen und die Einwurfschlitze mit Klebeband versiegelt worden. Auf dem Band hätten mehrere Personen unterschrieben, wobei ihnen gezeigt worden sei, wo sie zu unterschreiben hätten. Abends seien dann die Urnen im Büro des Wahlvorstands geöffnet worden, ohne das Klebeband zu beschädigen. Dieses sei komplett wieder abgenommen worden. Dann seien mal 200, mal 500, in jedem Fall aber mehrere hundert ausgefüllte Stimmzettel zusätzlich in die Wahlurne geworfen worden, berichtet ein Zeuge.

Stimmzettel gefälscht

Gedeckt wird dieser Bericht durch weitere Schilderungen, die Betriebsrätin Gabi Seum schwer belasten: „Ich habe beobachtet“, erklärte ein weiterer Zeuge ebenfalls eidesstattlich, „wie Frau Seum abends im Büro des Betriebsrats die versiegelten Wahlurnen geöffnet hat und bündelweise gefälschte Stimmzettel aus unbekannter Herkunft in die Wahlurne geworfen hat.“ Auch habe er selbst gesehen, „wie Frau Seum verschlossene Briefwahlunterlagen geöffnet hat, um nachzusehen, was der Mitarbeiter gewählt hat.“

Auf den Wählerlisten seien dann viele Namen von Mitarbeitern abgehakt worden, die nicht gewählt hatten. Für den Fall, dass diese doch überraschend zur Wahl kamen, seien die Wahlhelfer von Frau Seum angewiesen worden, einen anderen Namen auf der Liste abzuhaken, versichern die Zeugen übereinstimmend.

Mehrere Ordner mit Wählerlisten der vergangenen Jahre seien kürzlich aus dem Archivkellerraum des Betriebsrats verschwunden, sagt Alfred Seum. Auch seien Kartons mit Wahlunterlagen geöffnet worden. Eingebrochen wurde aber nicht. Der Kellerschlüssel hing im Betriebsratsbüro. Seum verdächtigt ehemalige Betriebsratsmitglieder und hat bei der Polizei Strafantrag gestellt. Zeugen wollen dagegen Alfred Seum gesehen haben, wie er mit Ordnern bepackt zum Aufzug Richtung Tiefgarage ging.

Bei der Commerzbank prüft die Revision derzeit die Vorwürfe. Aus Sicht der Bank handelt es sich bei den Vorgängen aber um „betriebsratsinterne Dinge“, in die man sich nicht einmischen wolle, sagt Banksprecher Peter Pitsch.

Opfer eine Intrige

Alfred und Gabi Seum sehen sich als Opfer einer gewaltigen Intrige. Die Vorwürfe seien „an den Haaren herbeigezogen“ und von „Gegnern“ des Betriebsrats in die Welt gesetzt, heißt es in einer Stellungnahme. Bei keiner der Wahlen sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Dies zeige auch, dass keine Wahl angefochten worden sei. Zudem sei eine Wahlfälschung, wie sie von den Zeugen behauptet werde, bei Kenntnis des Wahlablaufs überhaupt nicht möglich.

„Ich habe bei keiner dieser Wahlen irgendwelche Manipulationen wahrgenommen, noch war ich selbst an Manipulationen beteiligt“, sagt Alfred Seum. „Das Gleiche gilt für meine Frau.“ Ob „andere etwas gefälscht haben“, könne er nicht beurteilen. Die Vorwürfe seien von den Zeugen in die Welt gesetzt worden, um die Bank zu erpressen, sagt Seum. Er habe Anhaltspunkte dafür, „dass die Zeugen versucht haben, mit diesen Informationen Geld von der Commerzbank zu erlangen“. Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sehe er darum „gelassen entgegen“. Es werde sich zeigen, „dass ich und meine Frau uns nichts vorwerfen lassen müssen“, so der Betriebsratschef.

Doch die Vorwürfe gegen die Seums reißen nicht ab. Mit einer rigiden „Clanstruktur“ und einem „System der Abhängigkeiten“ beherrschten sie den Betriebsrat, klagen Beteiligte. Kritiker der Zustände würden von Gabi Seum, die pikanterweise auch eine Commerzbank-Broschüre zum Thema „Mobbing“ verfasst hat, „gnadenlos fertig gemacht“. Alfred Seum habe nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe ein aus seiner Sicht „verräterisches“ Betriebsratsmitglied als „Drecksau“ bezeichnet und der Person mit den Worten gedroht: „Wenn ich dich alleine treffe, dann bis du tot“, berichten Zeugen.

Aber nicht nur mit markigen Worten, sondern auch anderweitig fällt Alfred Seum mit seiner Familie weiterhin auf: Bei arbeitsgerichtlichen Verfahren beauftragt der Betriebsrat immer wieder eine in Frankfurt niedergelassene Anwältin: Patricia Seum – die Tochter des Betriebsratsvorsitzenden. „Vollmacht an Rechtsanwältin Seum“, heißt es regelmäßig in den Protokollen des Betriebsausschusses. Das Honorar muss die Bank zahlen. Seit dem Jahr 2001 erhielt die Anwältin laut Bank 33.000 Euro für ihr Engagement. Ein „Gschmäckle“ habe diese Verflechtung aber nicht, finden die Seums.