Tanz die Wandmalerei!

Wenn der Wille zum Remix gleich das Medium überschreitet: Zur Ausstellung „doku/fiction“ in der Kunsthalle Düsseldorf entwarfen 30 Künstler Arbeiten zu den Sounds des Elektronikduos Mouse on Mars. Schließlich können Kunst und Musik zusammengehören: Beide sampeln vorgefundenes Material

VON HARALD FRICKE

Es klirrt und klickt nirgends, nicht einmal Rascheln ist zu hören. Hier und da sitzen Besucher der Kunsthalle Düsseldorf unter Kopfhörern, starren auf einen Monitor oder zappen sich durch die Programmierung eines CD-Players. Sonst ist es auf allen Stockwerken still. Eine Ausstellung, die sich mit Phänomenen elektronischer Musik beschäftigt, stellt man sich anders vor: mit expressivem Lärm vielleicht, oder auch als High-Tech-Parade mit einem Sperrfeuer aus Images; ganz gewiss aber als Suche nach dem spezifischen, beides verbindenden Sound.

Der ist bei Mouse on Mars längst diskursiv vernetzt. Seit Mitte der Neunzigerjahre hat das Elektronikduo sich mit viel Freude am Frickeln einen Stil zugelegt, der zwischen Hörspiel, Freeform und Techno driftet. Krautrock mit digitalen Kanten oder, wie es Dietmar Dath im Katalog lieber formuliert, „abstrakt semantische Dissonanzen, Abkömmlinge guter Undeutlichkeit“. Nur wird es in der Ausstellung „doku/fiction“ gar nicht erst undeutlich dissonant, weil es wenig zu hören, aber viel zu sehen gibt. Zugleich gelten für bildende Kunst keine akustischen Prioritäten – wer kann schon zu einem Ensemble aus MDF-Platten oder einer Wandmalerei tanzen?

Für eine Band ist es dennoch erstaunlich, dass sie sich auf das ihr fremde Referenzsystem einlässt. Deshalb haben sich Mouse on Mars für die von ihnen kuratierte Ausstellung aufs Kerngeschäft konzentriert und den CD-Player mit gut 60 Kompositionen aus den vergangenen zehn Jahren im Eingangsbereich installiert – mehr Infotisch als Exponat. Der Rest blieb den 30 eingeladenen Künstlern und Künstlerinnen überlassen, die für die Ausstellung Beiträge entwickeln sollten, „ohne dabei Sound zu generieren“. Damit wollte man sich auch vom Bündnis zwischen Club und Kunst lösen, das in der computerbasierten Popkultur dominiert.

In Düsseldorf ist zumindest das Setting enorm sperrig. Der belgische Bildhauer Jan de Cock hat sich an der gegenüberliegenden Bürohausfassade orientiert und mit grün beschichtetem Sperrholz einen Korridor aus Messekojen gestaltet, in denen wiederum Videos, Zeichnungen und Gemälde zu sehen sind. Vor dieser Art innenarchitektonischer Blockbebauung müssen alle Arbeiten bestehen – was nicht immer gelingt. Simon Lewis aus Norwich etwa zeigt kleinformatige Blätter, auf denen er in fleißiger Handarbeit täuschend echte 3-D-Grafiken gezeichnet hat. So kann man sich in endlosen Kugelvariationen verlieren oder darüber grübeln, warum Lewis für seine Miniaturen von Zugvögeln am Himmel ausgerechnet Fotos fremder Leute als Vorlagen benutzt. Sicherlich ist an dieser Übernahme von Motiven der Wille zum Remix abzulesen, der für die Ausstellung konzeptgebend war. Aber ein Austausch findet nicht wirklich statt, zumal die Zeichnungen kaum Interesse an den Original-Schnappschüssen wecken, sondern nur die Raffinessen des Zeichners zeigen.

Überhaupt ist der künstlerische Eigensinn oft größer als die Auseinandersetzung mit der Musik von Mouse on Mars, die doch immerhin der Anstoß für die Ausstellung war. Das Partnermedium wird höchstens als Inspirationsquelle benutzt, so wie etwa Alice Stepanek und Steven Maslin bei ihren Wiesengemälden an die schönen Klänge denken, die sie im Atelier hören, während sie malen. Für Soulis Moustakidis ist der Sound von Mouse on Mars mit dem leicht derangierten Rumpeln einer Waschmaschine vergleichbar, also zeigt er ein Video mit zwei Waschmaschinen, denen man bis zum Schleudergang bei der Arbeit zuschauen kann. Silke Schatz hat sich hingegen um den sozialen Rahmen bemüht, in dem Musik entsteht. Ihre Installation ist der Nachbau einer Bühne, die Erinnerungen an einen Kölner Off-Club wecken soll, der einige Zeit ein Treffpunkt für Free-Jazz und elektronische Improvisationen war. Auf der Rückseite der Holzpaneelen wird die feine Distinktion des damaligen Publikums sichtbar: Fußabdrücke in toll schillernden Ölfarben zeugen von der Vielfalt zeitgemäßer Turnschuhprofile.

Am eindringlichsten sind allerdings Arbeiten, bei denen es strikt um ästhetische Strukturverwandtschaften geht. So zeigt Heike Baranowsky in ihrem Videoloop „Shape Shifter“, wie sich per Computermanipulation ein Zeppelin im Kreis über dem amerikanischen Mittelwesten dreht. Auf der angrenzenden Wand sieht man im Zusammenspiel mit dem Luftschiff plötzlich Vogelschwärme aufsteigen, so dass sich zwischen beiden Projektionen ein individueller und doch zufälliger visueller Rhythmus entfaltet.

Überhaupt liefert Baranowsky die beste Erklärung dafür, wie Kunst und Musik zusammengehören: nicht wegen der gefühlsmäßigen Ähnlichkeiten und auch nicht mit Blick auf die inhaltliche Ausrichtung; sondern weil sich beide mit der technischen Verfasstheit ihrer medialen Erscheinung beschäftigen. Layers und Loops, das Sampling von vorgefundenem Material – einfacher lässt sich der gemeinsame Nenner nicht formulieren. Entsprechend groß ist der Spielraum, der dem Betrachter bei Baranowsky bleibt. Dann meint man sogar für einen Augenblick, der Zeppelin würde zu „Rodio“ von Mouse on Mars kreisen. Tanzen kann man trotzdem zu keinem von beiden.

Bis 27. Juni, Kunsthalle Düsseldorf