Klimawandel für 175 Millionen Dollar

Der Film „The Day After Tomorrow“: Öko-Action aus Hollywood

VON MATTHIAS URBACH

Eigentlich ist „The Day After Tomorrow“ ein typischer Roland-Emmerich-Streifen: Wieder einmal werden die Vereinigten Staaten verwüstet wie schon in „Independence Day“ und in „Godzilla“. Wieder sind die Helden auf sich gestellt, um das Inferno zu überleben. Ein Katastrophenfilm eben.

Und doch ist „The Day After Tomorrow“ anders. Er hat eine Botschaft. Es ist nicht einfach irgendeine Flutwelle, die zuschlägt, oder ein wütender Tornado. Es ist ein Klimawandel, ausgelöst durch den Menschen, der die Erde in die nächste Eiszeit katapultiert. „Die Moral von der Geschichte ist“, sagt Emmerich: „Wenn du den Planeten mit Kohlendioxid voll pumpst, wirst du dafür bestraft.“ Zum Filmstart in den USA werden Umweltschützer vor den Kinos Flugblätter verteilen.

Anfangs fürchteten viele US-Ökologen und Klimaforscher, die Übertreibungen könnten ihrer Sache schaden. „Meine erste Reaktion war: Das ist ein Desaster, weil die Wissenschaft so verzerrt dargestellt wird“, erzählt etwa der Paläo-Klimaforscher Dan Schrag aus Harvard. Umweltschützer und Klimaforscher sind gebrannte Kinder: Gerne schmähen ihre Gegner sie als „Alarmisten“.

Tatsächlich strapaziert der Film die Physik. Die Story beginnt noch halbwegs plausibel: Ein riesiges Stück vom antarktischen Schelfeis löst sich, natürlich genau dort, wo unser Held, der Paläo-Klimaforscher Jack Hall (gespielt von Dennis Quaid), gerade Eiskernbohrungen unternimmt. Etwas Ähnliches ist wirklich geschehen. Im März 2002 brach das 3.000 Quadratkilometer große antarktische Eisschelf Larsen B vom Festland ab – während der Produktion des Films. Emmerich erinnert sich, wie er mit seinem Drehbuchautor witzelte, dass sie sich nun besser beeilen sollten, „sonst würden wir noch eine Dokumentation drehen“.

Doch das berstende Schelf ist bei Emmerich nur ein Auftakt. Kurz darauf stürzen in Tokio riesige Hagelbrocken vom Himmel und erschlagen Fußgänger, Los Angeles wird von einem Dutzend entfesselter Windhosen heimgesucht. „Wir stehen am Rand einer bedeutenden Klimaverschiebung“, versucht der Held den Vizepräsidenten zu warnen. Vergeblich, versteht sich. Bis hierhin steht die von Emmerich geschilderte Welt noch halbwegs im Einklang mit der Physik. Doch die dann folgende Klimakatastrophe inszeniert Emmerich als Übersetzung der biblischen Sintflut ins industrielle Zeitalter: Es bilden sich je ein gigantisches Sturmtief über Nordamerika, Europa und Asien, die alles Land meterdick mit Eis und Schnee überziehen – eine Strafe für die Ignoranz des Menschen.

Das ist Unfug. Der menschengemachte Klimawandel wird uns zwar höchstwahrscheinlich Dürren, Fluten und viel menschliches Leid bescheren, aber sicher keine Eiszeit. Während selbst ein „abrupter Klimawandel“ mindestens einige Jahrzehnte Zeit benötigt, gefriert der Planet bei Emmerich in wenigen Wochen.

Nach den Regeln des Hollywood-Drehbuchs benötigt ein Katastrophenfilm bloß „ein Körnchen Wahrheit“, so Emmerich. In „The Day After Tomorrow“ ist es die Theorie, dass der Golfstrom plötzlich abreißen könnte, jene vom Äquator in unsere Breiten reichende Ozeanströmung, die den Nordatlantik mit warmem Wasser versorgt. Angetrieben wird sein nördlicher Arm dadurch, dass vor Grönland kaltes, sehr salziges und damit schweres Meerwasser in die Tiefe sinkt. Dieser mächtige Wasserfall im Meer wirkt wie eine Umwälzpumpe. Sie kann ausfallen, wenn das Meerwasser vor Grönland wärmer und weniger salzhaltig wird. Der Treibhauseffekt heizt das Wasser auf und verringert den Salzanteil, weil er mehr Regen bringt und Gletscher schmelzen lässt.

„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahrzehnten eine starke Änderung des Golfstroms erleben“, sagt der Ozeanforscher Stefan Rahmstorf vom Klimafolgenforschungsinstitut in Potsdam. So eine Änderung werde erst gegen Ende des Jahrhunderts etwas wahrscheinlicher. Und: „Der Drehbuchautor war sich nicht klar darüber, dass sich daraus keine Eiszeit ergeben kann.“ Rahmstorf ist Mitglied des Gremiums für „abrupte Klimaänderungen“ im Nationalen Ozean- und Atmosphären-Amt (NOAA), jenem Wetteramt, in dem auch Filmheld Jack Hall arbeitet.

Kann ein solcher Film einen Beitrag zur Aufklärung leisten? Überschätzt man das Genre, wenn man meint, das Thema ließe sich akkurater aufbereiten? Immerhin gibt es Dinge, die auch Emmerich nicht mitmacht. Ein großes Hollywood-Studio hätte auf einem Helden bestanden, der die Apokalypse verhindert. Einen unglaublich toughen Mann, sagen wir Bruce Willis, der in den Nordatlantik rudert, eine gigantische Salztablette in die Fluten wirft und damit den Golfstrom wieder anschmeißt. Emmerich verkaufte deshalb lieber das fertige Skript.

Für eines ist Emmerich unbestritten Experte: den Massengeschmack. Das erkannten auch amerikanische Umweltverbände. Nachdem ihre Vertreter Ausschnitte des Films begutachtet hatten, sind sie jetzt entschlossen, „The Day After Tomorrow“ für sich zu nutzen. Den Grund nennt Ökologieprofessor Daniel Botkin: „125 Millionen Dollar für den Treibhauseffekt dürfte eine Rekordsumme sein, um dieses Thema zu kommunizieren.“ Plus 50 Millionen Dollar für die Werbung zum Film. Die US-Umweltschützer argumentieren so wie der Exvizepräsident Al Gore: „Wir müssen mit zwei Sorten von Dichtung umgehen: Eine ist der Film, die andere die Darstellung der Bush-Regierung vom Treibhauseffekt.“

In den USA ist der Treibhauseffekt noch immer ein kontroverses Thema. Dort werden die meisten Treibhausgase in die Luft gepustet. Dort regiert George W. Bush, der das Klimaschutzprotokoll von Kioto boykottiert und die Beweise für den Treibhauseffekt noch immer für unzureichend hält. Der sein eigenes Umweltschutzamt EPA anwies, einen Bericht zum Klimawandel noch einmal zu überarbeiten, weil er zu mahnend war. Und der am NOAA die Mittel für genau jene Abteilung drastisch kürzen will, für die auch Filmheld Hall arbeitet: die paläontologische Klimaforschung. Diese Regierung wies offenbar auch die Nasa an, ihren Klimaforschern einen Maulkorb zu verpassen. Dort schickte der Pressechef Anfang April eine Mail an alle Mitarbeiter: „Niemand von der Nasa“ dürfe etwas kommentieren, „was mit diesem Film zu tun hat“. Roland Emmerich, der seit „Independence Day“ eher das Image eines Hurrapatrioten hat, scheint die Regierung nervös zu machen.

Vermutlich liegt das weniger an der Übertreibung des Treibhauseffekts als vielmehr an den „Unmengen politisch unbequemer Situationen“ (New York Times) in Emmerichs Film: Da schlägt der Vizepräsident, der nicht zufällig dem echten Vize Dick Cheney ähnelt, die Warnungen Halls in den Wind: Die Wirtschaft sei „ähnlich zerbrechlich wie die Umwelt“, der Klimaschutz zu teuer. In „Independence Day“ fliegt der Präsident noch höchstpersönlich im Kampfjet die letzte Schlacht gegen die Aliens. In „The Day After Tomorrow“ stürzt sein Hubschrauber schockgefroren ab. Derweil flüchten die amerikanischen Massen ins warme Mexiko, das bereits die Grenzen gesperrt hat. Doch die Amerikaner überwinden den einst selbst errichteten Grenzzaun. So muss am Schluss – wie in jedem Märchen – fühlen, wer nicht hören will. Der ehemalige Vize gibt seine erste öffentliche Rede als Präsident aus dem mexikanischen Asyl. „Wir haben gedacht, wir könnten die natürlichen Ressourcen ohne Konsequenzen ausbeuten – wir haben uns geirrt, ich habe mich geirrt.“

Für diese Szenen musste Emmerich nach eigenen Angaben kämpfen: Der Verleih hätte einiges gerne abgeschwächt. So provozierend sie in den USA sein müssen, so wohltuend werden sie hierzulande empfunden. Und so kommt es, dass man bei den hiesigen Previews des Films Klimaforscher wie Stefan Rahmstorf trifft oder Umweltminister Jürgen Trittin. Beide haben ihre Internetseiten mit wissenschaftlichen Richtigstellungen zu „The Day After Tomorrow“ ausgestattet, um aufgewühlten Kinobesuchern eine Einordnung zu geben. Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung ebenfalls. Auch Greenwatch und der WWF nutzen den Film, um Werbung für ihre Sache zu machen.

Für Emmerich ist sein Film wohl auch ein Versuch, in seiner Heimat endlich richtig anerkannt zu werden. Die Weltpremiere des Films war am Freitag in Berlin. In Interviews bekennt der Regisseur, niemals die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben zu wollen. Und er erklärt, immer Grün gewählt zu haben, wenn er auch „sehr angepasst sei – vielleicht zu angepasst“. So ist auch sein Film: engagiert, aber sehr angepasst.