SCHARON-PLAN: ABSICHTSERKLÄRUNGEN WIRKEN WIE PROVOKATIONEN
: In Stufen zu neuen Blutbädern

Vom „Bulldozer“, wie Freunde und Feinde den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon einst riefen, scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Die eigene Partei und die rechten Koalitionspartner auf der einen Seite, die moderaten auf der anderen, die Opposition, die Armee und sogar der Oberstaatsanwalt drohen Israels Regierungschef von dem dünnen Seil zu zerren, auf dem er um sein politisches Überleben tanzt. Ein alternativer Plan für den Abzug aus dem Gaza-Streifen soll ihm nun neuen Halt geben. Der Plan ist so wacklig wie Scharons Seil. Die Militärs, die ihn umsetzen müssen, fragen sich, ob es nur um die prinzipielle Entscheidung über einen stufenweisen Abzug geht oder ob damit schon konkret über diesen entschieden werden soll. Beide Optionen wären fatal.

Welch verhängnisvolle Folgen Absichtserklärungen der israelischen Führung haben können, ist in diesen Tagen an den Meldungen aus dem Gaza-Streifen zu erkennen. Die dortigen Angriffe auf zwei Panzer und die blutige Invasion in der Stadt Rafah hängen mit dem israelischen Plan zusammen, Gaza aufzugeben. Ein Plan, der noch nicht einmal ratifiziert wurde, der frühestens im nächsten Sommer umgesetzt wird und doch schon über 60 Menschenleben forderte.

Als vor zehn Jahren Israelis und Palästinenser in Oslo den Abzug aus Jericho beschlossen, begann dort, wo es fast immer ruhig war, die Intifada, der „Aufstand der Steine“ – es galt noch einmal zu demonstrieren, wer hier die Armee in die Flucht getrieben hat. Nichts anderes passiert heute in Gaza. Wie viel mehr Gewalt wird es geben, wenn tatsächlich Siedlungen geräumt werden, und zwar jedes Mal aufs Neue? Nur mit dem Stufenverfahren lässt sich dieses Abzugserlebnis optimal auskosten.

Wenn es überhaupt einen alternativen Abzugsplan geben sollte, dann einen ohne Blutvergießen. Ein sofortiges Wiedergutmachungsprogramm der Regierung müsste niemandem großartig auffallen. Ein Hinweis auf eine einfache Möglichkeit zur Deeskalation: In den für eine Räumung vorgesehenen Siedlungen im Westjordanland sitzt ein Großteil der Leute seit Jahren auf gepackten Koffern und reist nur deshalb nicht ab, weil kein Geld für den Neustart da ist. SUSANNE KNAUL