PRÄSIDIALE VORSTELLUNG
: Gott als Motor für lahme Wirtschaft

Offenbar haben die Washingtoner Jahre Horst Köhlers als Präsident des IWF auf seine politische Rhetorik abgefärbt. Wie sonst wäre es erklärlich, dass das „God bless America“, mit dem George W. Bush seine patriotischen Reden abzuschließen pflegt, so umstandslos seinen Weg in die erste Ansprache des neuen Bundespräsidenten gefunden hat?

KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Allerdings hat Köhler bei seinem Übertragungsversuch statt der eindeutigen staatlichen Fixierung des Gottessegens mittels „Gott segne Deutschland“ zu der weniger exklusiven, aber dennoch territorial eingegrenzten Formel „Gott segne unser Land“ gegriffen. In den USA, wo es vielen Bürgern noch selbstverständlich ist, dass gerade auf ihrem Land Gottes Segen ruht, erscheinen solche Segensformeln als Bestätigung des sowieso Selbstverständlichen – als Bestandteil der Alltagskultur.

Aber will Köhlers Segenswunsch fernab allen amerikanischen Auserwähltheitsglaubens nicht einfach ausdrücken: „Am Ende meiner kleinen Ansprache wünsche ich Ihnen allen alles Gute“? Und könnte man es nicht dabei belassen, sich über seine pastoral-altväterliche Ausdrucksweise zu mokieren? Nein. Denn es bleibt die Frage, wieso Gottes Segen „unserem Land“ gelten und nicht einfach nur „uns“, das heißt allen, die sich von dem Segenswunsch angesprochen fühlen.

Man könnte nun einwenden, dass Köhler eben deutscher Bundespräsident ist und er daher kraft Amtes – wie alle anderen Staatsoberhäupter – aufgerufen ist, auch auf sein Land Gottes Segen herabzuflehen, ohne dass dadurch konkurrierende Segenswünsche anderer Länder beeinträchtigt würden. Liest man sich Köhlers Rede durch, so zeigt sich, dass er Gott hauptsächlich als Motor für den beschleunigten Weg der Bundesrepublik Deutschland in die „Wissensgesellschaft“ in Anspruch nehmen möchte. Gottes Segen, theologisch gesprochen die belebende Kraft des Heiligen Geistes, soll sich im beispiellosen Aufschwung deutscher Ideenproduktion zeigen. Nur so, kraft solcher segensreichen göttlichen Inspiration, ist der „Standort Deutschland“ zu retten. Amen.

Aber vielleicht hatte Köhler auch nur den göttlichen Segen im Auge, wie er im ersten Buch Mose mehrfach ausgesprochen wird: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland ein berechtigter Wunsch – wenngleich nur ein frommer.

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