Im Labyrinth der Eiszeit

Endlich wieder ein Blockbuster, der nicht nervt und es sogar vermeidet, den Zuschauern ein desinteressiertes, stumpfsinniges und blödsinnig aufgesetztes Happy End zu schenken: Roland Emmerichs ordentlicher Desasterfilm „The Day After Tomorrow“

VON HARALD PETERS

Roland Emmerich ist ein Großmeister der Zerstörung. In „Independence Day“ hat er der Reihe nach alle amerikanischen Sehenswürdigkeiten zerdeppert, in „Godzilla“ genüsslich New York in Schutt und Asche gelegt und zuletzt in „Der Patriot“ noch einmal die Schlachtfelder der amerikanischen Revolution zum Leben erweckt. Doch immer, wenn alles kaputt war und die Spielfiguren fassungslos vor den rauchenden Trümmern standen, schien Emmerich das Interesse an ihnen zu verlieren. Gerade so, als wäre er nur nach Hollywood gegangen, um das Weiße Haus einzureißen, hielt er sich selten länger mit den Aufräumarbeiten auf. Statt einer nachvollziehbaren Lösung bot er meist nur ein seltsam aufgesetztes Happy End.

In „The Day After Tomorrow“ ändert sich an der dramaturgischen Schieflage zwar wenig, doch hat sich Emmerich mit der Klimakatastrophe ein Thema ausgesucht, bei dem die Schieflage nicht weiter stört. Tatsächlich ist sie sogar unbedingt notwendig. Denn spielt das Wetter erst einmal verrückt, lässt es sich im Unterschied zu Aliens und wild gewordenen Riesenechsen durch Waffengewalt nur selten wieder zur Vernunft bringen.

Wie in jedem ordentlichen Desaster-Film ist auch hier ein aufrechter Wissenschaftler die Hauptfigur. Schon in den ersten fünf Filmminuten drängt der Klimaforscher Jack Hall (Dennis Quaid) den amerikanischen Vizepräsidenten auf die Unterzeichnung des Kioto-Protokolls. Doch wie der tatsächliche amerikanische Vizepräsident weist der Film-Vizepräsident derartige Forderungen als unbegründet zurück, weshalb sich gleich darauf ein Wetter am Himmel zusammenbraut. In Neu Delhi fällt Schnee, in Tokio werden Menschen von Hagelbrocken erschlagen und in Los Angeles wüten fünf fiese Tornados.

Schnell werden noch ein paar Charaktere eingeführt, die als Frau, Sohn und Kollegen dem Film die notwendige menschliche Wärme geben, dann wird die gesamte nördliche Hemisphäre von einer neuen Eiszeit tiefgefroren. Man hat Emmerich deswegen vorgeworfen, dass er mit „The Day After Tomorrow“ zu schnell die politische Ebene verlässt, um sich dem gefahrlos Zwischenmenschlichen hinzugeben. Doch weil sich gegen eine Eiszeit nur schwerlich ein Beschluss fassen lässt, macht das in der Logik des Films unbedingt Sinn. Also zieht sich der wackere Jack Hall seine Polarausrüstung über und marschiert zu Fuß von Washington nach New York, wo sein Sohn Sam (Jake Gyllenhall) in einer Bibliothek festsitzt, in der man zwecks Wärmebeschaffung bereits Bücher verbrennt.

Immer wieder gelingt es Emmerich, kleine böse Scherze einzubauen. So wird Mexiko für die Amerikaner zum Einwanderungsland, und als man die Grenzen dort dicht macht, öffnet man durch einen spontanen Schuldenerlass kurzerhand wieder die Türen. Zwischendurch lässt Emmerich noch herrenlose Öltanker durch die Straßen von New York schippern, den Präsidenten schockgefrostet vom Himmel plumpsen und als kühlen Verweis auf das Ende von „Planet der Affen“ die vereiste Freiheitsstatue einsam in der Gegend herumstehen.

Dass sich der Klimawandel wohl nicht so abspielen wird, wie Emmerich es in dem Film skizziert, versteht sich von selbst. Auch wenn naseweise Kritiker herausgefunden haben, dass es möglicherweise gar keine Eiszeit, sondern unschöne Dürren und Fluten geben wird, muss man Emmerich auf Knien für diesen Film danken. Mit „The Day After Tomorrow“ hat er endlich mal wieder einen Blockbuster in die Kinos gebracht, der im Gegensatz zu „Herr der Ringe II–III“, „Matrix II–III“ oder „Troja“ nicht nervt. Und es ist es ihm gelungen, der US-Regierung die Zornesröte ins Gesicht zu treiben. Mehr kann man nicht wollen.

Als am Schluss versöhnlich die Sonne am Himmel steht, sieht es zwar so aus, als schenke Emmerich den Zuschauern wieder ein aufgesetztes Happy End. Doch tatsächlich bleibt die nördliche Hemisphäre gefroren und der neue amerikanische Präsident regiert aus dem Exil, der Amerikanischen Botschaft, die in Mexiko steht.

„The Day After Tomorrow“. Regie: Roland Emmerich. Mit Dennis Quaid, Jake Gyllenhall, Laura Chapman u. a. USA 2004, 123 Minuten