Illegal in Hamburg: „Kleine Freiheit“ von Yüksel Yavuz im 3001
: Auf der anderen Straßenseite wartet das normale Leben

Der Film beginnt mit Videoausschnitten, auf denen ein alter Mann in die Kamera blinzelt. „Was machst du da?“, fragt er. „Ich filme“, antwortet eine Stimme aus dem Off, doch der alte Mann sieht nicht so aus, als ob er mit dieser Information viel anfangen könnte. Und so erzählt er einfach, als ob die Kamera nicht da wäre, wie es ihm so geht – nicht besonders gut, auf ihn hört ja keiner mehr, leider.

Was diese Eingangssequenz soll, klärt sich erst im Laufe von Kleine Freiheit, dem (nach Aprilkinder) zweiten Spielfilm des Hamburger Regisseurs Yüksel Yavuz. Auch die Hauptperson, der junge Kurde Baran, hat es mit Videos, ständig läuft er mit einer Kamera vor der Nase herum. Irgendwann erfährt man, dass er die Videos in sein Heimatdorf schickt.

Der kleine Grenzverkehr der Bilder ist die einzige Verbindung, die geblieben ist, ansonsten ist Baran im fremden, kalten Hamburg auf sich gestellt. Es ist die Stärke dieses Films, dass er keine großen Botschaften verkündet, sondern sich einfach an die Fersen dieses kurdischen Jungen heftet. Wir sehen ihn im Trubel des Döner-Imbisses, in dem er arbeitet, wir sehen ihn mit seinem klapprigen Fahrrad über die Reeperbahn fahren, deren Leuchtreklamen nicht für ihn bestimmt sind. Baran hat es eilig, er muss Döner an die Kunden liefern.

Zunächst macht es allerdings keineswegs den Eindruck, als ob Baran allein wäre. Als Dönerbote kommt er herum, und da sind auch noch die Männer aus dem Dönerladen, sein Cousin, der hinter dem Tresen steht, der schrullige Koch und der Chef, der nur vordergründig freundlich ist. Der Chef hat eine hübsche Tochter, doch Baran treibt sich lieber mit einem neuen Freund herum, Chernor, dem Afrikaner mit blond gefärbten Haaren.

„Sind die echt?“, fragt jemand. „Klar sind die echt!“, antwortet Chernor entrüstet, und ähnlich aussichtslos wie sein Versuch, dass man ihm das glaubt, ist auch seine sonstige Lage. Wie Baran hat Chernor keine gültigen Papiere, beide leben sie in der Angst vor der Abschiebung. Darum ihr Zusammenzucken, sobald ein Polizeiauto vorbeifährt, darum dieses leicht Gehetzte, das an ihnen klebt wie eine zweite Haut.

Gerade weil Yüksel Yavuz, der selbst mit 16 aus der Türkei nach Deutschland kam, diese Situation nicht groß herausstreicht, gelingt es ihm zu zeigen, was das bedeutet: in Deutschland illegal zu sein. Baran und Chernor sind nicht übermäßig bedrückt, sie sind leichtsinnig, wie es Jungen ihres Alters nur sein können. Und doch kann ihr komplettes bisheriges Leben durch eine dummen Zufall, durch eine falsche Bewegung sofort zu Ende sein.

Es ist, als ob das normale Leben ganz nah ist, es wartet auf der anderen Straßenseite. Man müsste nur hinübergehen, aber dieser Schritt ist unmöglich. Kleine Freiheit zeigt, warum das so ist. Und er zeigt, was passiert, wenn man es doch versucht. Angesichts der endlosen Diskussionen um die Einwanderungsfrage sollte man manchen Politikern Kleine Freiheit zwangsvorführen.

Dass es darüber hinaus auch ein sehr schöner Film geworden ist, liegt an der Unaufgeregtheit, mit der Yüksel Yavuz seinen beiden Helden beim Leben zusieht. Sie werden scheitern, das ist gleich klar. Bevor es soweit ist, erhält man jedoch Gelegenheit, sie richtig lieb zu gewinnen.

Daniel Wiese

Ab Samstag, 21 Uhr, 3001