SCHAUPROZESS: AM EHEMALIGEN YUKOS-CHEF WIRD EIN EXEMPEL STATUIERT
: Der Kreml hat immer Recht

Seit sieben Monaten sitzt Russlands prominentester U-Häftling Michail Chodorkowski im Gefängnis. Dem ehemaligen Chef des größten russischen Öl-Konzerns Yukos werden Steuerhinterziehung und Betrug zur Last gelegt. Wie Dutzende andere Superreiche war er in der postsowjetischen Privatisierung auf zwielichtige Weise zu sagenhaftem Reichtum gelangt. Heute beginnt die Anhörung vor einem Moskauer Gericht. Keine Frage, die Staatsanwaltschaft wird ausreichend Beweise für Schuld und Vergehen finden. Chodorkowski war kein Engel, nur weil sich das Unternehmen als erstes transparenten Geschäftspraktiken öffnete und der Oligarch zivilgesellschaftliche Entwicklungen förderte. Doch sollte gleiches Recht für alle gelten. Vor allem müsste ein verbindlicher Modus gefunden werden, der es erlaubte, Privatisierungen einer rechtsverpflichteten Korrektur zu unterziehen, ohne die Eigentümer ökonomisch zu vernichten.

Nur, darum geht es in diesem Verfahren gerade nicht. An Recht und Verbindlichkeit liegt dem Kreml nichts. Die Inszenierung eines Schauprozesses gegen den Yukos-Chef ist als Exempel gedacht, das Konkurrenten des Kreml abschrecken soll, eigene politische Ambitionen zu verfolgen. In dieses Bild passt weder eine unabhängige Unternehmerschaft noch eine Bürgergesellschaft. Jene soll durch Abhängigkeit und Interessenverflechtung mit der Politik erpressbar bleiben. Dies ist die Botschaft des Prozesses.

Wer vor einem Jahrzehnt noch Hoffnungen hegte, die Aufnahme des semidemokratischen Russland in den Europarat könne Demokratie und Rechtsstaat fördern, sieht sich getäuscht. EU-Standards steht der Kreml zynischer gegenüber denn je zuvor. So tat das Ratsmitglied Russland alles, um die Straßburger Emissärin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bei Recherchen in der Chodorkowski-Affäre zu behindern. Schon die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, der das Urteil eines Moskauer Gerichts gegen den Oligarchen Gussinski für rechtswidrig erklärte, wertete Moskau als Affront. Hier gilt das Recht des Stärkeren – und der sitzt im Kreml. KLAUS-HELGE DONATH