Suspense am Nullpunkt

Der Glaube an Bilder kann Wirklichkeit versetzen: Die Münchner Pinakothek zeigt Gemälde des Schotten Peter Doig. In seinen Gemälden wimmelt es von Wiedergängern aus High Art und Popkultur

Doig ein Spezialist für Abwege, die in den banalsten Situationen aufblitzen, immer stehen seine Gemälde unter Spannung

VON HARALD FRICKE

Als die Museen für das 21. Jahrhundert gebaut wurden, sollte Architektur mehr sein als bloß ein White Cube für die Kunst. Deshalb gleichen heute die Ausstellungshäuser von Bilbao bis Bregenz eher Eventzentren, selbst ein Kunsthistoriker wie Heinrich Klotz forderte vom Museum „Fiktion und nicht mehr nur Funktion“. Die meisten Sammlungen kommen diesem Anspruch mit ihren Exponaten durchaus entgegen: Die Quader der Minimal Art machen sich ganz hervorragend in den postmodernen Quadern aus seidenglattem Sichtbeton, die Warhols und Kiefers passen zum Parkett aus Wildbirne, für ausufernde Installationen wurden Atrien und Rotunden konzipiert – alles scheint sich harmonisch zu einem zeitlosen International Style zu fügen.

Dass sich aber die Kunst ändern könnte, die in diesen Kathedralen der Erbauung zu sehen ist, damit hatte offenbar niemand gerechnet. Zum Beispiel die 20 neuen Gemälde von Peter Doig, deren nadelspitze Farbigkeit und kleinteilige Detailfreude nicht recht mit der einschüchternden Weite der von Stephan von Braunfels errichteten Münchner Pinakothek der Moderne zusammengehen will. Verblüfft steht man in einem tennisfeldgroßen Raum des Metamuseums, der Blick wandert von der geometrisch gerasterten Lichtdecke zum grau ausgelegten Fußboden und irrt dann ein wenig benebelt die Wände entlang, an denen die nicht einmal kleinformatigen Bilder des britischen Malers hängen. Keine Frage, Doigs stilisierte, zugleich akribisch nach Vorgaben der Kunstgeschichte ausgetüftelte Landschaften und Alltagsszenen aus der Karibik wirken hier wie Fremdkörper.

Tatsächlich scheint sich der 1959 in Schottland geborene Künstler, der bereits 1994 für den Turner-Preis nominiert war und mittlerweile als überragender Genremaler gilt, erst spät mit dieser Hard-Edge-Architektur angefreundet zu haben. Zunächst war der Raum für ihn ein Problem. Nicht so sehr wegen des Gegensatzes, sondern wegen der atmosphärischen Doppelung: wozu die isolierten Figuren, die auf den meisten seiner Bilder durch eine traumartige und seltsam unwirtliche Natur driften, noch in einen räumlichen Kontext stellen, in dem sich auch der Betrachter selbst verliert?

Andererseits ist Doig ein Spezialist für Abwege, die noch in den banalsten Situationen aufblitzen, stehen seine Gemälde immerfort unter der Spannung, mit der das Nichts des Augenblicks in panikhaften Schrecken umkippen kann. Diese Art Suspense am Nullpunkt kennt man aus Horrorfilmen: Eben noch war da nur ein Geräusch, plötzlich ist die Hölle los. Für diese Herangehensweise ist Doig schon oft in eine Traditionslinie mit der Romantik und ihrer Sehnsucht nach dem Erhabenen gestellt worden. Als er vor zwei Jahren aus London nach Trinidad zog, wurde ihm der Schritt weg vom Rummel um die Young British Artists als Eskapismus ausgelegt – ein Paul Gauguin fürs Millennium?

Natürlich weiß Doig um die Macht der Vorbilder, die Gespenstern gleich durch den gegenwärtigen Boom der Malerei spuken. Doch zur Kunst gehört es von jeher, sich mit Kunst zu beschäftigen, auf bereits vorhandene Strategien der Repräsentation zu antworten und sich mit der Geschichtlichkeit von Bildern auseinander zu setzen. Für Doig ist alles Material, egal ob Fotografien, Munchs „Schrei“ oder „Freitag der 13.“. Am französischen Impressionismus fasziniert ihn die Konzentration auf Licht und Farbe; an Matisse liebt er den Rhythmus der Linienführung und der Konturen, die seine Figuren stets tanzen lassen; und bei Quentin Tarantinos „Kill Bill“ kann er sich in eine bizarre Wirklichkeit katapultieren, die wiederum nur aus lauter unwirklichen Versatzstücken des Kinos konstruiert ist. Zugespitzt heißt das bei Doig: Der Glaube an Bilder kann Wirklichkeit versetzen, deshalb trägt ein Gemälde wie „Metropolitain“ wohl auch den Untertitel „House of Pictures“.

Unheimlich bleibt diese Ansammlung von versprengten Wiedergängern aus High Art und Popkultur trotzdem. In München sind die Wände zwischen bändigender Zivilisation und dem individuell wuchernden Wahnsinn jedenfalls ziemlich dünn. Nicht von ungefähr ähneln die Menschen, die bei Doig unter Palmen dösen, durchs Meer waten oder in Mönchskluft auf einer Mauer sitzen, den Drop-outs der Gesellschaft. Die Entrückung ist minimal, gerade dadurch erscheint sie als eine anthropologische Konstante: Jeder muss mit seinem Tick für sich allein leben. Das gilt für den bärtigen Hippie, der sich auf „Purple Jesus (Black Rainbow)“ im Blau des Hintergrundes aufzulösen droht; das gilt auch für die hagere Männergestalt, die auf „Cementary Wall“ in einem grell weiß leuchtenden Hemd mit einem rosa Regenschirm unter einem psychedelisch blau brennenden Himmel einsam vorbeischleicht.

Vielleicht haben die Protagonisten, die sich bei Doig vom Alltag treiben lassen, aber doch ein Ziel. Ist ihr Ausharren in den Verhältnissen womöglich eine Flucht – vor den Zurichtungen einer durchrationalisierten Welt, die sich von London bis Port of Spain nicht unterscheidet? Ist sein Mann mit dem Regenschirm gar ein Bartleby der Globalisierung? Doig muss einen Moment grübeln, bevor er antwortet, dass er „die äußere Erscheinung von jemandem malen wollte, der in seinen eigenen Gedanken gefangen ist. Wie aber stellt man eine Person dar, die nachdenkt, ohne dieses Nachdenken aufzuschreiben? Man weiß ja nicht, was in seinem Kopf vorgeht, und dieses Nicht-Wissen macht einen selbst zum Drifter, während man das Gemälde betrachtet.“ Da ist sie wieder, diese spukhafte Doppelung der Atmosphäre, die den Betrachter magisch anzieht. Bei Doig lauert sie im Bild, nicht im Museum.

Peter Doig: Metropolitain, bis 4. Juli, Katalog 20 Euro