Was will John F. Kandidat?

Endlich geht Herausforderer Kerry den US-Präsidenten wegen seiner Außenpolitik an. Doch so verschieden davon sind seine eigenen Pläne für den Irak gar nicht

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Diesen John F. Kerry wünschen sich die Aktivisten an der Parteibasis. Scharfzüngig und angriffslustig. Bei Nieselregen stand er vorgestern im Hafen von Seattle und schmetterte in die wacker ausharrende Fangemeinde, dass George W. Bush die „arroganteste, rücksichtsloseste und ideologischste Außenpolitik in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ betreibe, und reckte dabei seine Faust in die Luft. Manche fühlten sich an seine energischen Auftritte während der Vorwahlen in Iowa erinnert, als er scheinbar abgeschlagen hinter Howard Dean lag und sich mit einer furiosen Aufholjagd an die Spitze des Kandidatenfeldes der Demokraten katapultierte.

Doch nur wenige Stunden später war er wieder der zurückhaltende und vorsichtige Senator aus Massachusetts. Dabei sollte seine Rede ein Paukenschlag sein, ein Frontalangriff auf Bushs Außenpolitik vor dem Hintergrund des Desasters im Irak.

Kerry hat sich endlich vorgenommen, wozu ihm seine Wahlstrategen von Anfang an geraten haben: ein Oppositionsführer zu sein mit alternativen Politikentwürfen, der versucht, Bush die Medienhoheit nicht völlig zu überlassen. Dem Präsidenten bieten sich in den kommenden Tage reichlich Bühnen, um sich als unbeirrbaren Feldherrn darzustellen. Mit drei Reden zur Sicherheitspolitik will Kerry dagegenhalten, eine wahre Sisyphusarbeit angesichts des grellen Rampenlichtes für den Präsidenten. Bei seinem Auftakt am Donnerstag in Seattle skizzierte er vier Leitlinien: eine neue Ära US-geführter Allianzen, Modernisierung der Streitkräfte, geschickterer Einsatz der diplomatischen und wirtschaftlichen Macht der USA und das Ende der Abhängigkeit vom Öl aus dem Mittleren Osten. Kerry warf der Bush-Regierung vor, Gewalt eingesetzt zu haben, bevor die Möglichkeiten der Diplomatie ausgeschöpft wurden.

Doch darin erschöpft sich seine Kritik an der Invasion. Kerry, der im Oktober 2002 selbst für die Kriegsresolution im Kongress stimmte, kann nicht grundsätzlich, sondern nur taktisch argumentieren. Überdies unterscheiden sich seine aktuellen Forderungen in der Irakpolitik nicht mehr fundamental von Bush. Beide befürworten keinen raschen Abzug der US-Truppen, plädieren notfalls für eine Aufstockung und wollen die UNO stärker einbinden. Die Situation ist für Kerry vertrackt. Bush hat sich auf ihn zubewegt, ohne dies natürlich zuzugeben, während er ironischerweise an diesen Positionen seit Kriegsbeginn festgehalten hat. Der Umfaller und Wankelmütige ist also nicht Kerry, wie von den Republikanern gerne porträtiert, sondern Bush.

Kerry hat von dieser Entwicklung und der Tatsache, dass eine Mehrheit der Amerikaner Bushs Irakpolitik mittlerweile ablehnt, jedoch nur wenig profitiert. Zwar sank Bushs Popularität auf ein Rekordtief, doch dies führte nicht dazu, dass Kerrys Umfragewerte nach oben schnellten. Entweder liegt er knapp vor Bush oder gleichauf. Über sein Unvermögen, aus Bushs Versagen größeres politisches Kapital zu schlagen, sorgen sich seine Wahlstrategen und liberale Aktivisten.

Anfang Mai schossen Geschichten über deren Unzufriedenheit wie Pilze aus dem Boden und die Angst machte sich breit, Kerry könne wie Al Gore enden. Das New Yorker Wochenblatt Village Voice forderte gar: „Kerry must go.“ Drei Gründe werden für Kerrys mangelndes Profil verantwortlich gemacht: Ihm fehlt eine unverwechselbare Botschaft, seine Natur ist spröde und seine Rhetorik oftmals gestelzt. Noch schwerer wiegt, dass Kerrys Vorsicht dieser Tage im scharfen Kontrast zu anderen Demokraten steht, die beim Angriff auf Bush kein Auge trocken lassen. Nancy Pelosi, die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, holte jüngst zu vernichtender Kritik aus und selbst Gore forderte am Mittwoch fast das gesamte Bush-Kabinett zum Rücktritt auf. Beide bedienen damit die Anti-Bush-Stimmung an der Basis. Sie wissen, zu sanfte Töne treiben linke Geister sonst in die offenen Arme von Ralph Nader. Dessen Botschaft ist klar: „Bring the troops home.“ Kerrys Berater sind sich uneins über den Weg zum Erfolg. Die einen glauben, es reiche, Bush einfach im eigenen Saft schmoren zu lassen und ihm unablässig Inkompetenz vorzuwerfen. Andere fordern eine klare Abgrenzung von Bush auch auf die Gefahr hin, unabhängige Wähler und moderate Republikaner zu verprellen.

Da der Irakkrieg das wahlentscheidende Thema sein könnte, sollte Kerry nach Ansicht von Experten eine Zäsur im Irak wagen. Sie argumentieren: US-Wähler haben historisch betrachtet letztlich einen Kandidaten bevorzugt, der der Realität ins Auge sah, die bittere Medizin verabreichte, dass die Besatzung kontraproduktiv und der Krieg nicht zu gewinnen ist, und daher den Abzug der Truppen ankündigte. Es kann jedoch sein, dass Bush eher auf diese Idee kommt.