Location-Scouts in Badelatschen

Es ist wieder Summer in the City. Das coole Berlin zieht in die Strandbars und inszeniert sich selbst als Urlaub vom Alltag. Dabei haben längst nicht nur Gastronomen, sondern auch Immobilien-Developer das Lümmeln in den Liegestühlen entdeckt

VON UWE RADA

Wer im „Club der Visionäre“ die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, wähnt sich schon mal in Asien, Holzhütten auf Holzpfählen, Wasser, weit weg vom Alltag. Auch in der „Strandbar Mitte“ lümmeln die Hartz-IV-verdächtigen IT-Freaks auf ihren Liegestühlen und träumen vom nächsten Job. Es ist wieder Wegbeamzeit in Berlin, und manchmal geht die Simulation, wie am Bundespressestrand, sogar in die Endlosschleife. Wer nach der Mittagspause nicht mit Sand in den Schuhen wieder ins Büro möchte, kann auf der Rasenzone lunchen. Rasen am Strand? Berlin steht wieder einmal Kopf.

Nur, wo stehen die Füße? In der Zeit beendete Sven Hillenkamp den vergangenen Strandbarsommer mit den Worten: „Die Urlaubssimulation kennt kein Woanders mehr. Sie imitiert mehr die Welt des Tourismus als die Welten, in denen der Tourismus stattfindet.“

Wer will, findet an den Strandbars von Mitte bis Friedrichshain tatsächlich all die Accessoires, die er bei einem Rundgang über die ITB als schnöden Schein abtun würde. Die Simulation der Strandbar ist dagegen cool, weil sie nicht vordergründig Kulisse ist, sondern Lebensgefühl, nicht nur kommerziell, sondern auch unkonventionell. Endlich darf man mal Tourist in der eigenen Stadt sein und findet dafür sogar den passenden Ort. Was aber passiert mit den Orten, wenn die Sommer vorbeigehen?

Berlin, hieß es in den vergangenen Jahren, müsse seine Lage am Wasser erkennen. Allein die Investoren wollten nicht hören. Das Kreuzberger Spreeufer ist noch immer eher Lücken- als Legoland, und erst vor ein paar Tagen hat die KapHag-Gruppe ihr Großprojekt „Spree Sinus“ an der Holzmarktstraße in die Tonne getreten. Das Grundstück am Spreeufer wurde an die BSR verkauft. Wasser, das gilt offenbar noch immer als Ablenkung vom Eigentlichen, der Arbeit. Wer Berlin mit dem Boot durchfährt, sieht, wie sich solches Denken an die Ufer baut: verschlossen.

Die Strandbars dagegen haben eine andere Botschaft. Hier ist alles im Fluss. Arbeit und Freizeit, Marktfähigkeit und Hedonismus sind keine Widersprüche mehr, sondern der Mix für kommende Erfolge. So wie die Hausbesetzer in Prenzlauer Berg und Friedrichshain einst Pioniere der Gentrification waren, könnten die Urlaubssimulanten am „Oststrand“ die Garanten dafür sein, dass das Anschutz-Quartier inklusive Sportarena tatsächlich einmal brummt.

Und hat nicht die BSR, die soeben das KapHag-Grundstück übernommen hat, erklärt, sie wolle das Gelände nun selbst entwickeln? Bis es so weit sei, verriet BSR-Vorstand Christoph Landerer, könne man am Spreeufer ja eine Strandbar und einen Beachvolleyballplatz errichten.

Wer von Strandbar redet, darf also von Urbanisierung nicht schweigen. Und aus mancher Zwischennutzung könnte tatsächlich bald schon ein Pachtvertrag, aus einem Provisiorium ein Dauerzustand, aus dem öffentlichen Uferraum ein privater Cocktailclub werden. Dann wäre nicht nur das Wasser wieder weit entfernt, sondern auch die Urlaubssimulation da angelangt, wo sie ihren Ausgangspunkt genommen hat: in der schnöden Wirklichkeit.

Tatsächlich aber vermischen sich die Bilder. Die urbanen Zonen werden maritimer, die Strände urbaner. Barcelona hat es mit der Neuerfindung seines Stadtstrands 1992 vorgemacht. Und bis heute Erfolg damit.

Was aber macht eine Stadt wie Berlin, die keine vergessene Lage am Meer wiederzuentdecken hat? Die nicht, wie selbst das triste Bremerhaven, einen alten Fischereihafen zum urbanen „Schaufenster“ umbauen kann? Die keine neue City bauen kann wie Hamburg am Hafen?

Ganz einfach: Sie nimmt ihren Fluss und erklärt ihn zum Mittelpunkt des Denkens. Nirgendwo ist die Urbanisierung der Wasserlagen und die Maritimisierung der Bürolandschaften derzeit weiter vorangeschritten als zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke. Die neue Mitte, sie ist tatsächlich nicht mehr am Hackeschen Markt, sondern am Osthafen, bei MTV, Universal oder auf der „Hoppetosse“. Das neue Berlin wird eine Bandstadt sein, die sich wie eine Perlenschnur an den Spreeufern entlangzieht, vom „Oststrand“ bis zu den Treptowers.

Ist Barcelona tatsächlich näher gerückt? Am „Oststrand“ jedenfalls lässt man sich von der Anschutz-City nicht Bange machen und baut derzeit sogar ein provisorisches Theatergebäude. Vorbei die Zeiten, in denen es hieß: Unter dem Pflaster liegt der Strand. Nun liegt er obenauf. Und lässt sich vergolden.