kuckensema: auf bremens leinwand
: Die Kinosüchtigen: „Cinemanía“ von Angela Christlieb und Stephen Kijak

Wenn das Kino Eskapismus ist, dann zeigt dieser Film die Meister unter den Ausbrechern! Wer glaubt, ein Filmbegeisterter zu sein, nur weil er ein paar Mal pro Woche ins Kino geht, muss angesichts dieser Kinobesessenen demütig das Haupt beugen! Aber so hemmungslos könnte man in Bremen oder Berlin auch gar nicht dieser Leidenschaft frönen.

Nur in New York und vielleicht noch in Paris gibt es so viele Repertoirekinos, Filmmuseen und Cinematheken, dass man soviel von seinem Leben wie rein körperlich nur möglich in Kinos verbringen kann. Genau dies tun die fünf Helden dieses Dokumentarfilms. Sie schauen sich wirklich eine Menge an: zwischen 700 und 1.000 Filme pro Jahr. Um das zu erreichen, muss man sein Leben streng organisiert haben. Man muss Spielzeiten und U-Bahnfahrpläne genau studieren, um das optimale Timing zu erreichen, Ess- und Schlafgewohnheiten der Obsession unterordnen.

Für solche Nebensächlichkeiten wie Arbeit und Einkommen ist da kein Platz: Jack, Eric, Harvey, Roberta und Bill leben vom Sozialamt, Frührente oder einer Erbschaft.

Bei jedem von ihnen schlägt die Besessenheit andere Blüten. Harvey stoppt die genaue Laufzeit jedes Films und verkündet sie laut, auch wenn sie niemanden interessiert. Roberta sammelt Eintrittskarten und verteidigt die Schnipsel so rabiat, dass sie wegen einer Schlägerei an der Kasse Hausverbot im Museum of Modern Art hat. Und Bill ist an realem Sex nicht interessiert, denn selbst Rita Hayworth würde ihn ja nicht in dem Schwarz-Weiß küssen können, das sie für ihn so erotisch macht.

Die Filmemacher Angela Christlieb und Stephen Kijak folgen den fünf Extrem-Cineasten bei ihren immer eiligen Wegen durch New York, zeigen sie in Kinofoyers, besuchen sie auch in ihren ärmlichen Wohnungen, wo alles vollgestellt ist mit Filmbüchern und Kinofotos.

Jack Angstreich (welch ein Name!) zeigt seine Rheumaunterwäsche, die er immer mit sich herumträgt, denn manchmal wird ihm mitten in einer Vorstellung kalt, und dann wechselt er auch schon mal im dunklen Kino seine Garderobe. Der Film ist voll von solchen bizarren Details, aber er macht sich nie über die Protagonisten lustig. Dazu sind sie viel zu selbstironisch. Sie wissen um ihre Skurrilität, zahlen bereitwillig den Preis für ihre Leidenschaft und sind alles andere als Opfer ihrer Sucht.

Sie mögen das Kino wirklich gerne, das sieht man in ihren leuchtenden Augen, wenn die Kamera sie tatsächlich einmal beim Filmesehen zeigt.

Fast scheinen sich die Regisseure vor diesen intimen Momenten zu scheuen. Doch wenn die fünf im Kino weinen, ist dies fast so anrührend wie die schönste Hollywoodschnulze.

Wilfried Hippen

„Cinemanía“ läuft heute, Samstag und Dienstag um 20.30 Uhr im Kino 46 an der Waller Heerstraße 46 (Originalfassung mit Untertiteln)