Klagenfurt ist unsterblich

In Literarischen Colloquium Berlin wurde das Programm des 28. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs präsentiert

Nein, sagte Iris Radisch gleich zu Beginn der Präsentation des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, das Klagenfurter Wettlesen werde sicher nicht abgeschafft: „Die Kritik an Klagenfurt ist genauso ein Klassiker wie der Wettbewerb selbst.“ Radisch bezog sich mit dieser Aussage auf eine Titelzeile der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die nach dem letzten, selbst für Klagenfurter Verhältnisse literarisch dürftigen Wettbewerb in Boulevardzeitungsmanier gefordert hatte: „Schafft Klagenfurt ab!“

Ungeachtet dessen hatte das niemand ernsthaft vor, nicht einmal eine Veränderung der Modalitäten wurde erwogen. Allein bei der traditionellen Programmvorstellung im Berliner LCB ließ sich erkennen, wie wichtig der Preis allen ausführenden Beteiligten ist: Stolz verwies der Landesdirektor des ORF in Kärnten, Willy Mitsche, auf die große Unterstützung durch den eigenen Sender, der sich trotz Quotendruck die Live-Ausstrahlung in Zusammenarbeit mit 3sat jedes Mal wieder leiste. Klagenfurts zweiter Bürgermeister Mario Caniori, vom Aussehen her leicht mit Jörg Haider zu verwechseln, sprach im Politjargon von einem „kulturpolitischen Juwel“, das ein „Alleinstellungsmerkmal“ für Klagenfurt sei. Die Stadt sonne sich geradezu darin, ein paar Tage die Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur zu sein.

Und auch Iris Radisch mochte als Jury-Vorsitzende nicht hintenanstehen und bezeichnete den Wettbewerb und seine TV-Ausstrahlung als einen „Hort der Seriosität“ im Vergleich zu den sowieso schon wenigen Literatursendungen im Fernsehen, die allenfalls noch Kaufempfehlungen abgeben würden. Bezeichnenderweise blieb für die 18 Autoren und Autorinnen, gewissermaßen das Fundament des Wettbewerbs, ohne das es keine Kritik, kein Literaturfernsehen und keine Literaturhauptstadt geben würde, nur die schnöde Namensverlesung – die, genauso bezeichnend, erst nach Bekanntgabe der neuen Jury-Mitglieder Klaus Nüchtern, Martin Ebel und Heinrich Detering erfolgte.

Wie immer finden sich unter den vielen No-Names einige bekannte Autoren, die sich mit einem oder mehreren Büchern zumindest in der Literaturöffentlichkeit schon einen Namen gemacht haben. Die mit eigenen Feuilleton-Artikeln fast allgegenwärtige Juli Zeh ist dabei, etablierte Debütanten wie Wolfgang Herrndorf („In Plüschgewittern“), Andreas Münzner („Die Höhe der Alpen“) und Richard David Precht („Die Kosmonauten“) oder die erfahrene, 1957 geborene Autorin Dorothea Dieckmann. Diese dürfte wohl ein Stück aus ihrem Ende Juli erscheinenden Roman „Guantánamo“ lesen, in dem sie die Gefühle und Gedanken eines Guantánamo-Häftlings imaginiert und dessen Isolation und ungewisse Zukunft beschreibt.

Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr also: Die Autorenschaft hat ein bisschen Angst und wird sich hinterher fragen, ob die Veranstaltung die Aufregung wirklich wert war. Strategische Abwehr also. Die Jury versucht, sich literaturkritisch zu neuen, fernsehgerechten Höchstleistungen aufzuschwingen. Der Literaturbetrieb feiert, geht baden und streicht sich um Bart und Beine – und am Ende gibt es wieder viel Gemuffel, da wird der bedauernswerte Zustand der deutschsprachigen Literatur beklagt. Vielleicht aber titelt irgendeine Zeitung auch: „Unsterblich schönes Klagenfurt!“ GERRIT BARTELS