Palästina in den Grenzen von 1917

Auf der Kölner Konferenz gegen den israelischen Sicherheitszaun waren die Hardliner am Werk: Von Kompromissen war keine Rede, statt dessen forderten die Teilnehmer das Rückkehrrecht für alle Palästinenser. Jetzt wollen sie Druck auf Israel ausüben

von Dirk Eckert

Norbert Blüm ist unter die Aktivisten der Palästina-Solidarität gegangen. „Die Mauer muss weg“, rief er am Samstag den Teilnehmern des Kongresses „Stop the Wall“ in der Alten Feuerwache zu. Die von der israelischen Regierung als Sicherheitszaun gebaute Grenzanlage kritisierte der Arbeitsminister a.D. als Schikane, deren Auswirkungen er bei Besuchen selbst gesehen habe: „Da kam ein Ambulanzwagen nicht durch“, empörte er sich.

Von solchen Begebenheiten erzählte an diesem Tag im gut gefüllten großen Saal der Alten Feuerwache in Köln nicht nur Blüm. Moshe Zuckermann zum Beispiel, israelischer Historiker, ist in einer Gruppe von jüdischen und palästinensischen Wissenschaftlern aktiv. Wegen der Mauer hätten sie ihren Tagungsraum wechseln müssen, berichtet er. Hinter der Mauer stehe nichts anderes als die Vorstellung, „dass man nur die Augen zu machen muss, damit die Welt da draußen nicht mehr existiert“. Viele Israelis hätten noch nicht begriffen, dass sie und die Palästinenser „wie siamesische Zwillinge aneinander gekoppelt sind“, bedauerte er.

An Erfahrungsberichten und Analysen zum Mauerbau und das Leben unter der Besatzung herrschte an diesem Tag wahrlich kein Mangel, auch nicht an Klagen über Sharon und seine Politik. Was fehlte, war eine kontroverse Debatte, die nicht mal zustande kam, als gegen Abend unter der Moderation von Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie über gewaltlose, internationale Kampagnen gegen Mauer und Besatzung beratschlagt wurde. Dass es Gruppen wie Hamas und islamischer Dschihad gibt, dass diese mit Selbstmordattentaten jeden Versuch einer Verständigung torpedieren, dass sich jede politische Gruppierung dazu verhalten muss – all das wurde nicht mal erwähnt.

Auch was die Palästinenser eigentlich anstreben sollten, was also der oft beschworene „gerechte Frieden“ eigentlich ist, blieb merkwürdig unklar. In der Abschlusserklärung ist zwar von „Israel in den Grenzen bis 1967“ die Rede, doch das war auf dieser Konferenz alles andere als Konsens. So legte Salman Abu-Sitta, Koordinator des „Komitees für das Rückkehrrecht des palästinensischen Volkes“, gar eine Karte von 1917 auf und zeigte dann, wie die Palästinenser seitdem ihr Land verloren hätten. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass er die jetzigen Verhältnisse wieder zurückdrehen will. „Wie lange es auch immer dauert, bestehe auf Deine Rechte“, empfahl er den Palästinensern. Sofortige Rückkehr aller Palästinenser in ihre alten Dörfer sei machbar, da die meisten Juden ohnehin in einigen größeren Städten des Landes lebten. Auf einer Karte unterteilte er Israel in A-, B- und C-Zonen für Juden, drehte also die sonst beklagte „Bantustanisierung“ der Palästinensergebiete einfach auf die Juden um.

Abu-Sitta bekam tosenden Applaus für seine Forderungen. Dass es längst Pläne gibt, die die Interessen Israels und der Palästinenser unter einen Hut bringen, etwa die Genfer Friedensinitiative, spielte am Samstag in Köln keine Rolle. „Es wird nicht ohne Kompromiss gehen“, hatte Norbert Blüm zwar gemahnt, aber sein Appell wurde offensichtlich als Sonntagsrede abgehandelt. Salman Abu-Sitta auf einer im Publikum verteilten Karte: „Das Rückkehrrecht ist heilig. Es ist in der Seele jedes Palästinensers. Ohne es wird kein Frieden herrschen.“

Zu solcher religiös-pathetischen Seelenkunde passte es dann, dass zwei Redakteure der Kölner Studierendenzeitung philtrat trotz ordentlicher Akkredditierung von der Konferenzteilnahme ausgeschlossen wurden, weil sie vom Ordnerdienst fälschlich für „verkleidete Antideutsche“ gehalten wurden. „Ich habe ein solches Klima der Verdächtigung und Denunziation noch nie zuvor erlebt“, empörte sich einer der beiden studentischen Redakteure.

Der Ordnungsdienst bestand aus Aktivisten der Kampagne „10 Euro für das irakische Volk irakische Widerstand“, die weniger an einem friedlichen Zusammenleben interessiert sind. So ist einer ihrer Sprecher, der Duisburger Thomas Zmrzly, der Ansicht, „eine Distanzierung von allen nicht-friedlichen Mittel des Widerstandes, und die Diskreditierung des militärischen Widerstandes als Terrorismus“ könne nur als nicht akzeptabler „Angriff auf den Widerstand interpretiert werden“. Auch Zmrzly war einer der Konferenzordner. Er verweigerte zunächst dem NRW-Korrespondenten dieser Zeitung den Einlass, weil er dachte, eine Kongressteilnehmerin hätte diesen als „Anti-Deutschen“ identifiziert. Zmrzlys Kommentar nach Klärung des Missverständnisses: „Da hast du aber nochmal Glück gehabt.“