In Calvin-Klein-Höschen zum EKG

Ein privates fotografisches Tagebuch hier, die bekannte Mischung aus martialischen Frauenakten und sexualisierten Machtimaginationen dort: Mit den beiden Ausstellungen „Us and Them“ und „Sex and Landscapes“ präsentiert sich die Helmut-Newton-Stiftung erstmals in ihren Berliner Räumlichkeiten

VON MARCUS WOELLER

Am Ende ging es dann doch recht schnell. Im vergangenen Herbst erst hatte sich der Fotograf Helmut Newton nach mehrjährigem Hickhack entschieden, über 1.000 seiner Werke den Staatlichen Museen zu Berlin als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Am vergangenen Freitag wurde die Helmut-Newton-Stiftung mit zwei Ausstellungen des im Januar verstorbenen gebürtigen Berliners eröffnet. Die Ruine des ehemaligen Offizierskasinos der Landwehr direkt am Hinterausgang des Bahnhofs Zoo war die letzte räumliche Option, die Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem bürokratiemüden Newton anbieten konnte – und sie gefiel. Über die Schnelligkeit und den Pragmatismus, mit denen Helmut Newton und seine Frau June dann ihr Projekt verfolgten, das Berliner Architekturbüro Petra und Paul Kahlfeldt mit den Renovierungsarbeiten beauftragten, die Finanzierung übernahmen, den Kunsthistoriker Matthias Harder als Kurator einsetzten und die unteren beiden Etagen des Gebäudes in eine Ausstellungshalle verwandelten, konnten Lehmann und sein Generaldirektor für die Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, nur staunen. Der neoklassizistische Bau präsentiert sich nun nur noch als halbe Ruine. In die von einer Brandbombe des Zweiten Weltkriegs gezeichneten beiden oberen Stockwerke zieht in drei Wochen das Museum für Fotografie ein.

Aber zurück ins Erdgeschoss. Die etwas enge und unproportioniert wirkende Halle mit einer zweiarmigen Treppe zeigt den Charme einer Fünfzigerjahre-Behörde. Schlicht, aber nicht unelegant. Die Schauseite schmückt sich mit fünf großformatigen Amazonen aus der Newton-Serie „Big Nudes“. Sie empfingen die Besucher schon im Jahr 2000 bei der Newton-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie. Die fünf aufrechten Nackten auf Highheels ersetzen die fünf preußischen Offiziere, die als Wandmalereien einst die Soldaten an militärische Disziplin auch während ihrer Vergnügungen im Charlottenburger Versammlungshaus erinnern sollten. Das erste Obergeschoss bietet der Newton-Stiftung Fläche für Wechselausstellungen. Zwei schöne Raumfluchten mit offenen Fensternischen, die den Blick auf vorbeifahrende Züge freilassen, zeigen die aktuellen Ausstellungen „Us and Them“ und „Sex and Landscapes“.

Die erste ist ein fotografisches Tagebuch des fast sechzigjährigen Zusammenlebens von Newton und seiner Frau, die unter dem Pseudonym Alice Springs fotografiert. Zentrum dieser Schau sind zwei gegenseitige Porträts von Helmut und June, die wie „frühe Thomas Ruffs“ (Matthias Harder) zu einem Physiognomiestudium einladen. Der als Stöckelschuhfetischist und Sadomaso-Provokateur bekannte und für seinen chauvinistischen Blick berüchtigte Newton fokussiert hier zur Abwechslung sein Privatleben. Eine Selbstaufnahme beim Arztbesuch gerät da zur unbewussten Persiflage auf seine Arbeit als Modefotograf. Nur mit einer Calvin-Klein-Unterhose bekleidet wird der Herzpatient Newton von seinem Arzt im eleganten schwarzen Anzug aufs Elektrokardiogramm vorbereitet.

Die Vielzahl von Prominentenporträts offenbaren das Talent Newtons als Chronist des internationalen Jetsets. Mit Ironie und mancher Bosheit im Detail arrangiert er seine Modelle. Von Gloria von Thurn und Taxis bis Karl Lagerfeld, von Brigitte Nielsen bis Yves Saint-Laurent. Seine artifiziellen Inszenierungen von Schein und Sein paaren sich mit privateren Fotos von Alice Springs.

In der zweiten Abteilung dominieren großformatige Abzüge der bekannten Mischung aus martialischen Frauenakten, sexualisierten Machtimaginationen und derbem Witz. In manchen Einzelfotos beweist Newton seine Qualität als origineller Bildschöpfer und wegweisender Fotograf mit schrägem Humor. Man kann verstehen, warum Peter-Klaus Schuster ihn in die Tradition der Neuen Sachlichkeit von Max Beckmann und George Grosz einreiht. Unverständlich bleibt dagegen das offensichtliche Anliegen der Kuratoren, stets zwei oder drei Fotografien zu einer Gruppe zusammenzuhängen. Welchen Erkenntnisgewinn gegenüber dem Einzelbild hat der Betrachter, wenn neben einer surrealistischen Sicht in eine Wohnung mit einem nackten Mädchen eine unbekleidete Blondine sich über ein Waschbecken beugt und daneben der Koloss der Apenninen aus dem manieristischen Garten Vicino Orsinis in Bomarzo porträtiert wird? So entstehen andere Kontexte und eine Interpretationswut, die in eine höchst eigenartige Richtung führen. Da hängt das exquisite Vanitas-Stillleben eines Zimmerservice-Arrangements aus Obstschale, verwelkten Blumen, Zeitungen und Champagner allein neben einem der von feministischer Seite kritisierten Akte. Seine Fotografien sind ja bereits dekontextualisiert. Newton ist zuallererst Modefotograf, und seine Werke sind auch im Kontext eines erweiterten Begriffs von Mode, Zeitgeist und Style zu verstehen. In einer Hängung und Gruppierung wie in „Sex and Landscapes“ aber werden die Fotos zu flachen Objekten eines Fotoromans, der die Kuratorenfantasie zu illustrieren scheint.

Keine großen Überraschungen also bei dieser ersten Ausstellung. Die sind vielleicht dem Museum für Fotografie vorbehalten, dem ab 24. Juni geöffneten Nachfolger des noch in der Frühphase gescheiterten Deutschen Centrums für Photographie. Dessen Finanzierung steht weiterhin auf tönernen Füßen, wenngleich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz behauptet, in höchstens zwei Jahren entwickle sich das Fotomuseum zu einem voll funktionsfähigen Haus. Derart vollmundige Botschaften hat man in der Vergangenheit viele gehört.

Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Berlin, Jebensstr. 2, Di.–So. 10–18 Uhr