Die guten Tage des Blues

Richard Pearce fragt in seinem Dokumentarfilm „The Road to Memphis“ Blueslegenden wie B. B. King und Rufus Thomas, wie es vor 50 Jahren in Memphis war

Anfangs war die Reise nach Memphis beschwerlich. Der Gitarrist und Sänger B. B. King erzählt in Richard Pearce’ Dokumentarfilm „Road to Memphis“, dass er noch nicht mal genug Fahrgeld hatte, um in die für ihn so wichtige Stadt zu gelangen. Aufgewachsen war er tief im Süden, mit Baumwollfeldarbeit, einer Acht-Dollar-Gitarre und drei Akkorden, die er dem Landprediger abguckte. Nach Memphis machte er sich auf, weil es dort den einzigen von Afroamerikanern gemachten Radiosender geben sollte, „WDIA“, und bei dem wollte er vorsingen.

Ein anderer Protagonist von „Road to Memphis“ ist der während der Filmaufnahmen verstorbene Sänger Rufus Thomas. Von ihm ist zu erfahren, wie man vor über fünfzig Jahren bei „WDIA“ in Memphis das schwarze Publikum entdeckte und in mühseliger Kleinstarbeit die Sponsoren überzeugte, dass schwarze Moderatoren ein Mittel sein könnten, um die schwarze Käuferschaft zu erreichen. Als sich B. B. King, Rufus Thomas und einige andere Bluesmusiker, deren Karriere in Memphis begann, vor zwei Jahren noch einmal vor Ort wiedertrafen, drehte Richard Pearce seinen neuen Film.

Der Dokumentar- und Musikfilmregisseur Pearce begann in den Sechzigerjahren als Assistent bei „Don’t look back“, einem Porträt Bob Dylans. Er war in dem Team, das „Woodstock“ drehte, und er drehte „Rust Never Sleeps“, einen Film über ein Konzert von Neil Young. In „Road to Memphis“ lässt er nun die Musiker erzählen, wie sie die Wiederbegegnung mit der Stadt, die Musikgeschichte geschrieben und ihnen so viel bedeutet hat, erleben. Den Sender „WDIA“ gibt es noch. Pearce zeigt B. B. King und Rufus Thomas im heutigen Studio der schwarzen Radiostation unter weißem Management, wie sie von früher erzählen.

In „Road to Memphis“ sieht man auch den Bluesmusiker Ike Turner, der einst als gewalttätiger Ehemann seine Karriere ruinierte, und den weißen Produzenten Sam Phillips. Der kurz nach den Aufnahmen verstorbene Phillips hatte Elvis Presley entdeckt und sitzt nun in einem Aufnahmestudio in Memphis mit einem völlig überdrehten Ike Turner, der sich zudem so in Rage redet, dass man wirklich Angst bekommt, er könne dem betagten Produzenten etwas antun.

Immerhin hatte Phillips Idee, die hippe schwarze Musik, die in jenen Tagen nicht im weißen Radio gespielt wurde, von weißen Musikern und Sängern interpretieren zu lassen, zu einer Revolution des Musikmarktes geführt. B. B. King hat es so formuliert: „Als der Rock ’n’ Roll kam, wollte kein Schwarzer mehr Blues hören. Blues für Schwarze, das bedeutete nun, gleich zweimal schwarz zu sein.“ Aber es gab wohl auch die andere Seite. Die Beale Street, jene Vergnügungsstraße von Memphis, die damals schlicht als „Paradies des schwarzen Mannes“ bezeichnet wurde. Heute sieht man dort zwar nur noch Touristen und Nippes, aber die Geschichten aus den guten Tagen des Blues haben etwas: Wenn ein Weißer an einem Samstagabend in den Fünfzigerjahren auf der Beale Street die Chance bekommen hätte, nur für ein paar Stunden schwarz zu sein, er hätte nie mehr weiß werden wollen, versichert Rufus Thomas.

Als B. B. King Ende der Sechzigerjahre für einen Auftritt im Fillmore West gebucht ist, lässt er den Wagen mehrmals um den Block fahren, weil er nicht glauben kann, was er da sieht. Junge Weiße mit langen Haaren stehen Schlange, um ihn zu hören. Drei Standing Ovations in 45 Minuten, das hatte er noch nie erlebt. Über Nacht änderte sich sein Publikum – zuvor waren es zu 90 Prozent Schwarze, nun sind es fast nur noch Weiße.

In Richard Pearce’ Oral-History-Studie gehört auch dieses Bild: B. B. King sitzt in seinem luxuriösen Tourbus auf der Fahrt durch das heutige Memphis, vor ihm auf dem Tisch ein Laptop, und der Blick schweift noch einmal die Beale Street entlang. Nichts ist so wie früher.

CHRISTIAN BROECKING

„Road to Memphis“, Regie: Richard Pearce. Dokumentarfilm, USA/Deutschland 2003, 90 Min.