„Der Druck ist immer da“

Zehn Jahre Jewish Film Festival Berlin: Ein Gespräch mit der Leiterin Nicola Galliner über jüdische Klischees in deutschen Filmen, anstrengende Verwandtschaft und den Vater von Krusty, dem Clown

INTERVIEW JAN-HENDRIK WULF

taz: Die Berliner Künstlerin Anna Adam hat mal gesagt, dass es in einem jüdischen Film außer um die Schoah immer nur um Mystik, koscheres Essen und Geld geht.

Nicola Galliner: Sie meinte sicher Filme, die in Deutschland gemacht werden. Sie macht sich ein bisschen darüber lustig, und sie hat Recht. Wenn man das teilweise sieht, was hier gemacht wird, was angeblich jüdisch sein soll! Ich erkenne mich darin jedenfalls nicht wieder.

In welchen Filmen erkennt sich denn Ihr Publikum wieder?

Wir haben hier eine besondere Situation. Bei den jüdischen Filmfestivals in Amerika gibt es ein jüdisches Publikum. In Berlin dagegen freue ich mich über jeden einzelnen Juden, den ich sehe. Unser Publikum ist ganz gemischt. Und es reagiert ganz unterschiedlich.

Lacht man über unterschiedliche Sachen?

Ja. Wir haben mal ein Festival zum Thema „Jüdischer Humor“ gemacht. Bei keinem unserer Festivals haben die Leute so wenig gelacht wie hier. Zum Beispiel beim australischen Dokumentarfilm „Angst“. Das war das erste Mal, dass das Thema Schoah von einem Komiker behandelt wurde. Die beiden Leute vom australischen Generalkonsulat und ich waren die Einzigen im Kino, die gelacht haben.

Was kann denn ein jüdischer Film im deutschen Umfeld bewirken?

Der Film kann einen Zuschauer in eine Welt transportieren, die er sonst nie kennen lernen würde. Man gewinnt einen neuen Blick. Wir haben im diesjährigen Festival einen israelischen Dokumentarfilm „Nummer 17“. Da begegnet man Leuten, die man sonst nie kennen lernen würde. Man kommt zum Beispiel in die Welt der illegalen Arbeiter in Israel. Ich hoffe einfach, dass man, wenn man diese Filme sieht, mehr begreift von der Komplexität des Lebens im Nahen Osten.

Was ist denn ein jüdischer Film eigentlich nicht?

Naja, da gibt es schreckliche Beispiele.

Was halten Sie von „Rosenstraße“?

Für mich ist „Rosenstraße“ kein jüdischer Film. Ich weiß, es gibt Zeitzeugen, die sich darin selbst erkannt haben. Daher finde ich es ein bisschen problematisch, als Nachkomme Befremden zu äußern. Aber es gibt doch Kleinigkeiten. Die Leute sitzen bei der jüdischen Trauerwoche, der Schiwa, und sagen nichts. Dabei ist das normalerweise eigentlich eine gesprächige Angelegenheit, wo man über den Verstorbenen redet. Dass man manchmal nicht richtig recherchiert oder Juden klischeehaft dargestellt sind, das ist etwas, das mich am deutschen Film stört. Es ist ja nicht so, dass Nichtjuden nicht erfolgreich Juden spielen können.

Auch Deutsche?

Nein, eher Italiener, Amerikaner.

Wussten Sie, dass auch Krusty, der Clown bei den „Simpsons“, ein Jude ist?

Das weiß man einfach. Ich habe jahrelang mit meinem Sohn die „Simpsons“ gesehen. Irgendwann wurde erwähnt, dass der Vater von Krusty Rabbiner ist.

Warum ist es nicht möglich, in deutschen Filmen so entspannt mit Juden umzugehen?

Das nichtjüdische Publikum in Deutschland kann sich nur schwer ganz normale jüdische Familien vorstellen. Das ist auch ganz normal in diesem Land. Die Verbrechen der Nazizeit sind so horrend, dass sie einfach auf Generationen hin alle Beziehungen belasten. Der deutsche Filmemacher, egal wer er ist, hat natürlich seine eigene Familiengeschichte. Das prägt seine Filme.

Auf amerikanischen jüdischen Festivals sind deutsche Filme über Juden und Nazizeit doch sehr beliebt.

Das ist die gegenseitige Faszination. Die amerikanischen Festivals waren zum Beispiel begeistert von „Rosenstraße“. Auch von „Aimée und Jaguar“ und „Nirgendwo in Afrika“.

Warum gibt es auf Ihrem Festival keine Beiträge aus Deutschland?

Nur ganz selten. Nicht, weil ich die nicht mag. Unser Anliegen ist es, Filme aus dem Ausland nach Deutschland zu bringen, die man hier sonst nicht sieht. Die in Deutschland gemachten Filme haben ganz andere Möglichkeiten, hier gesehen zu werden, als die ausländischen Produktionen.

Aber dann erkennen sich deutsch-jüdische Zuschauer ja in etwas wieder, was sie selbst gar nicht erlebt haben.

Wir zeigen dieses Jahr zwei wunderbare Filme aus Schweden, auch einem Land mit nur wenigen Juden, aber die Filme könnten auch hier spielen. Die geben diese Nachkriegssituation in jüdischen Familien wunderbar wieder. Beide sind allerdings von jüdischen Regisseuren gemacht. Und das fehlt uns hier. Es ist doch logisch, dass jemand, der das in der eigenen Familie erlebt hat, es anders darstellt als jemand, der aus einer Familie mit einer ganz anderen Vergangenheit kommt.

In dem schwedischem Film „Bit by Bit“ wird einem jungen Mann bei einem Streit mit dem Auschwitz überlebenden Großvater versehentlich die Hand mit der Motorsäge abgetrennt, weil rauskommt, dass seine Freundin keine Jüdin ist. Zeigt sich darin nicht ein gewisser familiärer Druck auf die individuelle Lebensgestaltung?

Grauenhaft. Ja, dieser Druck ist immer da, vor allem in Familien meiner Generation. Die Generation unserer Eltern, deren Leben anders gelaufen ist, als sie sich das gewünscht haben, möchte natürlich, dass die Kinder all das verwirklichen, was sie selbst nicht verwirklichen konnte.

Warum ist jüdische Verwandtschaft denn bloß so schrecklich anstrengend?

Jüdische? Verwandtschaft überhaupt ist anstrengend. Unser Festival hat dieses Jahr das Motto „Wahlverwandtschaften – Qualverwandtschaften“. Wahlverwandtschaft, das ist der Freundeskreis, den man sich selbst aufbaut – die anderen sind die, die man hat. Da kann man nichts dran ändern. Jeder wurde mal von seiner Verwandtschaft leicht gequält, oder?

Allerdings. Aber ist das nicht so ein jüdischer Topos?

Nein, das glaube ich nicht. Die oft belächelte jüdische Mutter etwa hat auch eine positive Seite. Sie kann auch sehr fürsorglich sein.

Trotzdem, muss einem dieses ewige Hochhalten familiärer Werte nicht schrecklich konservativ vorkommen?

Ich weiß nicht, ob ich das konservativ nennen würde. Familie ist das, was einen prägt. Ließe man das weg, was bleibt dann übrig? Man kann sich einerseits ein bisschen lustig darüber machen und es trotzdem behalten wollen. Das Judentum ist nicht so einfach zu definieren: Jeder nimmt das raus, was er haben möchte. Und ein paar Traditionen sind ja nicht so schädlich, oder?

Das 10. Jewish Film Festival Berlin, bis 17. Juni im Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten. www.jffb.de