Entschuldete Staaten hoch verschuldet

Auf ihrem Gipfeltreffen wollen die G-8-Staaten die Hilfe für hoch verschuldete Staaten um eine Milliarde Dollar ausweiten. Hintergrund: Die USA drängen auf Entschuldung des Irak. Oxfam: Länder brauchten mindestens 2,3 Milliarden Dollar

VON NIKOLAI FICHTNER

Heute kommen die Staats- und Regierungschefs der G 8, der sieben größten Industrienationen und Russlands, im US-amerikanischen Sea Island zusammen. Dabei wird auch die Entschuldung der ärmsten Länder auf der Tagesordnung stehen. Die G 8 wollen eine Verlängerung des Entschuldungsprogramms „HIPC-II“ sowie eine Aufstockung der Mittel um eine Milliarde Dollar ankündigen, heißt es aus der Bundesregierung. Nichtregierungsorganisationen halten weit mehr für nötig, sehen aber wieder bessere Chancen für die ärmsten Länder. Der Grund: Die USA drängen auf eine Entschuldung des Irak.

HIPC-II wurde 1999 auf dem Kölner G-8-Gipfel ins Leben gerufen. Die Idee: Arme Länder werden schneller und weitreichender entschuldet. Was sie einsparen, sollen sie für Armutsbekämpfung ausgeben. Dabei führen nicht die Weltbank-Ökonomen aus Washington Regie, sondern die Länder selbst. Die sollen wiederum ihre eigenen Bürger beteiligen.

Nach fünf Jahren ist die Bilanz durchwachsen. Von den 38 armen Ländern, die sich für das Programm qualifiziert haben, haben erst 13 das Programm abgeschlossen und sind tatsächlich entschuldet worden. Weiteren 14 Staaten wurde der Schuldenerlass bereits verbindlich zugesagt. Es bleiben 11 Länder ohne Aussicht auf Entschuldung, darunter der Sudan, Somalia und Liberia. Für sie wäre nach den Regeln von HIPC-II Ende 2004 das Programm geschlossen worden. Das wollen die Staatschefs in Sea Island aufschieben und damit den arg gebeutelten elf eine weitere Chance geben.

Doch auch für die Staaten, die es ins Programm geschafft haben, ist der Erfolg längst nicht gesichert. Zwar gehen etwa in Tansania jetzt doppelt so viele Kinder in die Grundschulen. Im Senegal dagegen gibt die Regierung immer noch 15 Prozent der Staatseinnahmen für den Schuldendienst aus und nur sechs Prozent für Gesundheit. Problematisch ist vor allem die Definition der Schuldentragfähigkeit. Das ist die Höhe der Schulden, die ein Land nach der Entschuldung selber tragen soll. 1999 zogen die Regierungschefs eine recht willkürliche Linie: Schulden in Höhe von 150 Prozent der jährlichen Exporterlöse sind demnach tragbar. Doch auch Staaten, die schon „entschuldet“ wurden, überschreiten diese Grenze. Entweder weil zu wenig Schulden erlassen wurden oder weil die Wachstums- und Exportprognosen zu positiv ausfielen.

Jürgen Kaiser von der Nichtregierungsorganisation „Erlassjahr.de“ hält das Programm für gescheitert: „HIPC-II hat keine Lösung des Schuldenproblems gebracht.“ Uganda zum Beispiel habe trotz Entschuldung wieder Verbindlichkeiten in Höhe von über 200 Prozent der Exporteinnahmen. „Schuld daran sind völlig unrealistische Berechnungsverfahren von IWF und Weltbank sowie ein Verfahren, bei dem die Gläubiger die Richter sind.“

Jetzt wollen die G 8 den Schuldenerlass um eine Milliarde Dollar aufstocken, heißt es von Rot-Grün. Doch um die Schuldentragfähigkeit für alle HIPC-Länder zu sichern, wären etwa 2,3 Milliarden Dollar nötig. Das berichtet die Entwicklungsorganisation Oxfam, die sich auf Weltbankberechnungen beruft.

Brisant ist das Thema auch, weil die USA ein starkes Interesse an der Entschuldung des Irak haben. „Wenn die G 8 auch nur die Hälfte der Schulden des Irak erlassen, wären das 25-mal so viel wie das, was nötig ist, um das Versprechen an die HIPC-Länder zu erfüllen“, rechnet Max Lawson von Oxfam vor. Für ihn wäre ein Irak-Schuldenerlass eine große Chance: „Deutschland und die USA haben bei HIPC aus Kostengründen immer gebremst. Wegen des Irak sind zumindest die USA jetzt kooperativer und die HIPC-Befürworter haben ein gutes Argument mehr.“