Feinheiten der Konspiration

Kritik am Präsidenten als Bestseller: Im Deutschen Theater stellte der Ex-Terror-Berater der Bush-Regierung, Richard Clarke, sein Buch „Against all Enemies“ vor

Der Handzettel klingt verführerisch: „Wollen Sie einen neuen US-Präsidenten?“, heißt es am Info-Stand der „Get Out And Vote Action“. Die Initiative will Auslandsamerikaner ermuntern, sich auch in der Fremde für die Präsidentschaftswahlen registrieren zu lassen.

Gut gewählt ist der Standort des Klapptisches vor dem Deutschen Theater am Sonntag: Zur Mittagszeit stellt hier der ehemalige Terrorberater der Bush-Regierung, Richard A. Clarke, im vollbesetzten Haus die von Hoffmann und Campe in Windeseile herausgebrachte deutsche Fassung seines Polit-Bestsellers „Against all Enemies“ vor. Mit dem ehemaligen US-Botschafter John Kornblum und dem Berliner Büroleiter der New York Times, Richard Bernstein, haben Verleger und die mitveranstaltende American Academy Berlin ein prominentes Podium zusammengestellt, das sich in der Beurteilung der strategischen Fehler der US-Außenpolitik auch weitgehend einig ist.

Das Schöne ist der Skandal, der bereits in den vergangenen Wochen mit dem Erscheinen des desavouierenden Insider-Berichtes, der sich in den USA 600.000 Mal verkauft hat, in der Vorwahlkampfzeit in Washington abgefeiert wurde. Neben einer Reihe weiterer prominenter Veröffentlichungen trugen Clarks kritische Kassandra-Rufe, das Bush-Team habe die vom Irak ausgehende Terrorgefahr systematisch überhöht, das Al-Qaida-Netzwerk hingegen jahrelang ungebührlich unterschätzt, dazu bei, dass die patriotisch verbrämte Beißhemmung der amerikanischen Medien gegenüber der Regierung allmählich wieder nachlässt.

Wirkliche Staatsgeheimnisse enthüllt Clarkes Bericht natürlich keineswegs und schmälert auch nicht die persönlichen Verdienste des Verfassers und seines engen Mitarbeiterstabes. Nicht ohne patriotisches Pathos spielt der Titel auf die Eidesformel an, die Soldaten und auch der Präsident auf die Verfassung sprechen: Against all Enemies. Nach Clarkes Anspruch ganz ohne Hybris. Doch der Mann ist kein Weichei: Schon unter Clinton hat der seit Reagan in Regierungsdiensten stehende Clarke sich für die Bombardierung von Al-Qaida-Ausbildungslagern in Afghanistan starkgemacht.

Als geradezu willkommene Abwechslung gellt plötzlich die Stimme eines Anhängers des „9/11 Truth Movements“ durch den Zuschauerraum: Clarke möge doch bitte mal erläutern, was es denn mit der zeitgleich zu den WTC-Anschlägen abgehaltenen Übung „Vigilant Warrior“ des nordamerikanischen Luftraumverteidigungskommandos (Norad) auf sich habe. In diesem Übungsszenario hätten doch entführte Passagierflugzeuge eine Rolle gespielt. Das geht nun schon in die esoterischen Feinheiten der unterschiedlichen Konzepte von Konspiration: Während Clarke behauptet, dass die Bush Administration 9/11 nur für einen reichlich planlosen Angriff auf den Irak instrumentalisiert habe, wittert der Zwischenrufer Schlimmeres. Das Norad-Planspiel habe das organisatorische Chaos der Einsatzstäbe vergrößert, rechtzeitige Gegenmaßnahmen verhindert und verrate zudem eine verdächtig präzise Kenntnis des drohenden Ungemachs.

Die sich ansonsten krisenfest gebenden Herren reagieren auf die unerwartete Attacke verstimmt: „Lassen Sie uns einfach weiterreden“, schlägt Kornblum schüchtern vor. Zuschauerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Was den Zwischenrufer nicht bremsen kann. „Na, die Zeit ist eh’ rum. Lesen Sie das Buch“, moderiert Bernstein die Runde umstandslos ab.

„Mir sind schon nach einer halben Stunde die Fragen knapp geworden“, brummelt er später beim Verlassen des Theaters. Als sich draußen die Kameras und Mikrofone seiner Kollegen auf ihn richten – faute de mieux, denn Clarke selbst signierte noch im Vorraum, platzt Bernstein dann doch die Hutschnur: „Ich bin bloß ein Berichterstatter wie Sie, was interessiert denn hier meine persönliche Meinung zum Tod von Ronald Reagan?“

JAN-HENDRIK WULF