Imaginäres Groupietum

Der Rocker als männliche Muse: Einen sehr ungewöhnlichen Gebrauch der Rockmusik der Siebziger führt die Malerin Olga Stozhar in ihrer Ausstellung „Deep Purple in Art“ vor. 100 Bilder zu 100 Deep-Purple-Songs, mitten im abgerockten Wilmersdorf

VON ANDREAS BECKER

Diese Gegend ist merkwürdig. Am S-Bahnhof Grunewald vorm Meyer-Beck-Markt diskutiert ein Motz-Verkäufer mit einer Kundin, ob Spargel aus Dosen besser schmeckt als frischer. Leicht beleidigt kauft sie keine Zeitung, spendet aber später was. „Die Leute hier geben gern und sind nett“, meint er.

An der Königsallee 30–32 wird den Armen und Bedürftigen, vor allem den Künstlern unter ihnen, ebenfalls gern gegeben. Im Dachgeschoss einer neobarocken Villa, dem „Löwenpalais“, 1903 gebaut für einen kaiserlichen Kellermeister, wohnen regelmäßig bis zu vier Künstler. Sie werden unterstützt von der Stiftung Starke. Konsul Carl Peter Starke hatte seinem Sohn Jörg im Testament auferlegt, eine Tradition fortzuführen, die sich seit 1930 dem Mäzenatentum verpflichtet sieht.

Dort zeigt jetzt Olag Stozhar „Deep Purple in Art“. Im Idealfall würde das Löwenpalais in diesen Tagen von Typen mit neobarocken Langhaaren heimgesucht. Die würden ihre Maschinen die Einfahrt hoch und am Rasen sprengenden Gärtner vorbeiknattern lassen, den Helm unterm Arm geklemmt das ausladende Haus betreten und immer lauter die Stimme von Ian Gillan, die Gitarre von Ritchie Blackmore oder die wuchtige, bei Konzerten gefürchtete Rollorgel von Jon Lord hören. „I’m a Highway Star“, am 16. August 1972 im damals noch richtig weit entfernten Osaka live aufgenommen, verewigt in den Rillen eines der Anfang der Siebziger meistverkauften Rockdoppelalben, dem vorsorglich sofort in Gold gefassten „Deep Purple Made In Japan“.

Meine erste LP nebenbei – der 29-DM-Sonderpreis-Sticker ist noch drauf. Diese Platte hat Olga Stozhar, drei Jahre zuvor in Leningrad geboren, Anfang der 80er erstmals während ihres Malereistudiums an der Kunstakademie gehört. Schnell kamen epochale Werke wie „Deep Purple In Rock“ oder „Fireball“ dazu. Als sie nach dem Zusammenbruch der UdSSR auch noch „Ritchie Blackmore’s Rainbow“ und den Titel „Self Portrait“ hörte, war ihre Karriere vorgezeichnet: „Paint me your picture and hang it on the wall. Color it darkly, the lines must start to crawl … Nothing is real but the way that I feel“. Nur das mit der Dunkelheit hat Deep-Purple-Fan Olga Stozhar ins Gegenteil verkehrt.

Ihre Acrylgemälde erinnern an bunte, fröhliche Comicstrips. Sie hat sich monatelang mit Deep-Purple-CDs im Atelier in Prenzlauer Berg eingeschlossen, die Anlage laut aufgedreht und versucht ihren Strich den wie wahnsinnig ausufernden Gitarrensoli und der Power der Band anzunähern.

Das Ergebnis ist faszinierend, nicht nur weil man das Projekt zunächst als Witz ansah. 100 Bilder zu 100 Songs. Dicht aneinander gehängt bis unter die Decke, wie ein riesiges Patchwork. In den Seitenflügeln der Villa hat sie temporäre, schwarz-weiße Karikaturen der Hardrocker direkt auf die Wand gemalt, mit teilweise verfremdeten Songtexten dazwischen. Teils hat die Malerin die jeweilige Besetzung wie in einem Popart-Gruppen-Passbild abgebildet. Um sich eine harmonische Band zu imaginieren, die es so wohl nur selten gab, wie sie selbst sagt.

Imaginäres Groupietum – vielleicht doch die angenehmere Variante, wenn man die alten Säcke sieht, die sich heute noch als Deep Purple auf die Bühne stellen. Fragt man Stozhar etwas ungläubig, ob sie die Musik der Band heute noch relevant findet, ist das für sie unerheblich. „Ich liebe die Siebziger-Rockmusik und ich weiß, dass ich Deep Purple idealisiere, aber auch ironisiere.“ Was das Management der Band in den USA wohl zwiespältig findet. Für ein geplantes Purple-Buch mit ihren Bildern gibt’s bislang leider keine Unterstützung von der Band. Man verhandelt noch. Das Buch wird sie aber auf alle Fälle rausbringen, möglichst noch bis zum Ende der Ausstellung in Berlin. „Es klingt merkwürdig, aber ich identifiziere mich inzwischen fast mit Deep Purple.“ Was nicht ganz leicht ist, da die Band sich in den Siebzigern öfter umgruppierte, in den Achtzigern auflöste, in den Neunzigern teilweise mit den alten Leuten wieder auftauchte und heute im Revivalgeschäft ist. Stozhar plant schon das nächste Projekt mit Rolling-Stones-Bildern, vielleicht auch Led Zeppelin oder Pink Floyd.

Aus dem Obergeschoss der Villa Starke flattern in diesen Tagen bunte Luftballons. Wenn die Handwerker, die gerade im rechten Flügel eine Behindertentoilette einbauen, ein wenig mehr Rhythmusgefühl im Bohrmeißel hätten und Ausstellungskurator Darius Bork einfach mal bei geöffnetem Fenster „Smoke On The Water“ von der „Best Of Purple“-CD spielen würde, könnte man vielleicht ein paar Rockrentner von der Königsallee anlocken. Eine ordentliche Anlage mit Mischpult steht jedenfalls immer für Besucher parat – leider nicht mit Original Marshall-Boxentürmen.

Olga Stozhar, „Deep Purple in Art“ in der Stiftung Starke, Königsallee 30–32, Mo.–Do. 9–17.30 Uhr, Fr. 9–14.30 Uhr