Die Zukunft strahlt so hell

Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski prognostiziert in seiner neuen Studie, wie unser Leben im Jahr 2020 aussehen kann. Was ist dran an der Prognose? Ein offener Brief aus der Welt von morgen

Sehr geehrter Professor Opaschowski, ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern. Doch ich muss Ihnen sagen, ich habe Sie bis heute, 10. Juni 2020, nicht vergessen können. Gestern vor 16 Jahren haben Sie in Berlin Ihre Zukunftsprognosen für die kommenden Jahre vorgestellt. Ihre Studie „Deutschland 2020. Wie wir morgen leben – Prognosen der Wissenschaft“ hat mich die letzten Jahre begleitet. Sehen Sie diese Zeilen bitte als kurzes Resümée eines Lebens an, das auch ganz anders hätte verlaufen können. Wie schrieben Sie noch 2004, Ihr „Zukunftsreport zeichnet Bilder vom Leben in der Welt von morgen“.

Eines gleich vorweg: Sie hatten Recht. Schon 2004 wussten Sie, dass ich mein Leben in Zukunft aus eigener Kraft werde meistern müssen, und ich habe es nicht geglaubt. Aber es ist so, bevor der Staat mir hilft, helfe ich mir selbst. Meine Zukunft hat tatsächlich schon damals begonnen. Leider bin ich heute nicht ganz zufrieden mit der Gegenwart und wende mich nun Rat suchend an Sie: Für welche Zukunft muss ich mich denn noch wappnen?

Sie konnten mir ja schon damals sagen, wer 29 Jahre alt sei, wisse längst nicht so genau, wie wichtig es sei, gebraucht zu werden. Heute schreibt Ihnen ein 45 Jahre alter Mann: Ich werde gerne gebraucht. Auch wenn ich mein Büro seit drei Jahren nicht mehr von innen gesehen habe und auch meine neue Redaktionsleiterin nur von meinem PC-Bildschirm her kenne.

Mein Telearbeitsplatz ist hingegen gesichert, wie man mir erst kürzlich versichert hat. Natürlich ist der Erhalt meines Arbeitsplatzes an ein paar Bedingungen geknüpft, wie für einen „privilegierten Vollzeitbeschäftigten“ nicht anders zu erwarten: Besonders macht mir tagtäglich die Formel „0,5 x 2 x 3“ zu schaffen. Zwar darf ich mich zu der Hälfte der Mitarbeiter zählen, die doppelt so viel verdient und dafür auch dreimal so viel arbeitet wie früher.

Doch nach jahrelangem harten Beschäftigungsalltag kam ich wieder einmal dazu, einen Blick in Ihre Studie zu werfen. Ihre Warnung, dass ich nach 20 oder 30 Jahren „Höchstleistung in der Erwerbswelt“ nicht mehr „gebraucht“ werde, „verbraucht oder nur schwer vermittelbar“ sei, obwohl noch 30 Lebensjahre auf mich warten werden, habe ich 2004 wohl glatt überlesen.

Meinen Sie, es sei für mich eine Perspektive, den allgemeinen Trends zu folgen und mich schon heute auf Gartenarbeit zu spezialisieren? Ich kann mir dann natürlich auch mehr Zeit für mich nehmen und auf den Kuss der Muße warten. Eine Zukunftshoffnung, die schon 2004 immerhin 50 Prozent aller von Ihnen Befragten ebenfalls äußerten.

Oder sehen Sie eine Möglichkeit für mich, noch eine späte Karriere im Spitzensport zu starten? Ich müsste nur noch eine eigene Sportaktivität finden, in der meine Motivation stimmt. Aber bei ausreichendem Anreiz könne ich möglicherweise jeden schlagen, sagten Sie schon 2004.

Ich weiß, dass ist jetzt nicht ganz zulässig, Sie so genau beim Wort zu nehmen. Immerhin bin ich ja kein Spitzensportler. Sollte ich mich dann doch eher auf die soziale Leistung des Sports konzentrieren, „Menschen aus allen Ländern der Erde näher zusammenzubringen“. Eine Wirklichkeit, die ich so aber leider nur vom Fernsehen her kenne.

Zudem habe ich den Verdacht, beim Fernsehen eh der Masse aus Consumern anzugehören, die aus Zeitnot kaum eine Sendung zu Ende sehen kann. Ich bin zwar „nie ganz dabei – aber immer auf dem Sprung zum nächsten medialen Ereignis“. Gab es damals, 2004, eigentlich auch Medienrummel um Ihre Studie?

Ihr PATRICK GRIESSER