17.00

Bei Gott, dass Jo immer angeben muss.

„Hier war schon Nadja Auermann“, sagt er und geht die paar Stufen runter. Hinter der niedrigen Stahltür versteckt sich angeblich ’ne Bar.

„Ohne Lizenz“, sagt Jo.

„Nee, was für ’ne Überraschung“, sage ich. Ich könnte ihn zum Schweigen bringen, müsste nur sagen, dass ich gestern Joschka Fischer gesehen habe. Immer von der Seite, sozusagen einäugig. Er saß beim Italiener neben mir. Seine neue Freundin war auch dabei. Mit Kind. Ob es ihres war? Sie sieht wirklich nicht schlecht aus, noch besser als auf den Fotos. Sympathischer. Hat erstaunlich breite Hüften. Und er hat die ganze Zeit gegähnt.

„Kommst du endlich!?“, schreit Jo. „Dieser Schuppen ist das Illegalste vom Illegalen.“ Was ist denn das für ’ne Steigerung! Ich hab mal einen Türken getroffen, der ausnahmsweise Humor hatte. Der sammelte die dümmsten deutschen Superlative. Zum Beispiel soll sich die breiteste Automatiktür im Saarbrücker Flughafen befinden. Ich wusste gar nicht, dass die einen Flughafen haben.

„Ich will trinken, nicht ertrinken“, brüllt Jo. Brandenburg soll ja Steppe werden. Fragt sich nur, warum jetzt Dauerregen ist. Ist ja wie in Irland, Berlin könnte glatt Dublin sein. Okay, okay, wenigstens ist es nicht nass in dieser Kellerhöhle. Soll in der Szene nur „das Loch“ heißen. Jetzt ist es sowieso leer, fünf Uhr, tote Zeit. Selbst auf dem Kinderspielplatz nebenan sitzt keine Mutter. Nicht, dass ich mit diesen überzeugten Milchspendern was anfangen könnte. Aber irgendwie nimmt man sie trotzdem wahr, eigentlich ein Wunder bei den vielen Frauen, die kinderlos und attraktiv durch den Prenzlberg laufen. Wahrscheinlich ist es das, was mit der „Ästhetik des Hässlichen“ gemeint ist. Aber das Umgekehrte stimmt nicht, nicht alles Hässliche ist ästhetisch. Zum Beispiel dieser ewige Besserwisser ist echt unappetitlich, der uns schon erwartet. Sitzt da dick in seiner Ecke und unterhält sich großkotzig mit sich selbst. Jo und ich nennen ihn den Bürger, weil er immerzu über die „Meinung des Souveräns“ faselt, den Wähler. Wir ist Ich, mein Gott, dieses gigantische, riesige Ego ist bestimmt praktisch. Da stellt sich die Sinnfrage gar nicht erst, obwohl man schon um fünf Uhr an der Bar hängt. Auch Nichtstun ist Mission.

„Du bist ja früh zurück aus der Selbstständigkeit“, sagte er.

„Solltest du auch mal versuchen“, sage ich. Zufällig habe ich die Anzeige dabei, die ist besser als jede Satire. Bundesministerium der Finanzen: Raus aus der Schwarzarbeit. Rein in die Ich-AG: mit bis zu 14.400 Euro Förderung. Vor hundert Jahren hätte ich vielleicht Kleinkriminelle erpresst, weil’s so einfach ist; heutzutage betrügt man den Staat. Ist genauso simpel und gar kein Unterschied, der ist auch kriminell. Zieht immerzu Steuern ein, und wo bleibt der Gegenwert? Offiziell bin ich nun Berater für Fundraising von gemeinnützigen Projekten.

„Auf so was hast du dich jetzt verlegt?“, sagt Jo.

„Jau“, sage ich. „Wie sind die Helden gefallen.“ Das klingt zwar blöde alttestamentarisch, aber irgendwie muss man ja auffallen. Das wusste Joyce auch schon, sonst hätte er sich bestimmt n paar Anspielungen geschenkt in seinem Ulysses. Ich kenne zwar nicht viel, aber eine Seite war Pflicht bei unserem Englischlehrer. Irgendwas mit einem öffentlichen Bad. Da sah Bloom die Löckchen seines Büschels fluten. Und dann das blöde Grinsen von unserem Lehrer: Preisfrage: Hat Bloom nun wirklich ein Bad genommen oder nur daran gedacht? Ja, woher sollte ich das denn wissen? Hinterher stellte sich heraus, dass man das da auch noch gar nicht wissen kann. Sondern erst später, irgendwas mit einer Zitronenseife. Gott, ich hasse Lehrer, die es nötig haben, Fragen zu stellen, die nur sie beantworten können. Und ich hasse diesen verdammten Köter Arnoldschwarzenegger, den Bürger überall mitschleppt und der gleich anfängt zu knurren. Es war einmal ein Hundehasser in Berlin, der schrieb einen Leserbrief: Köter sollen in Restaurants prinzipiell verboten werden. Ein anderer Leser retournierte prompt: Sie haben wohl Beziehungsprobleme. Weitere Leser schalteten sich ein und die Redakteure freuten sich gar inniglich. Nie wieder würden ihre Leserbriefseiten weiß bleiben. Und wenn Hundehasser und Hundefreund nicht gestorben sind, dann schreiben und streiten sie noch heute.

„Was haltet ihr so von den Zeiten?“, fragt der Bürger. Spielt den wilden Mann vom Prenzlberg. Kein Wunder, dass mich Jo unbedingt hierher schleppen musste, der steht auf großkotzige Scheiße. Vielleicht wäre das mal ’ne Idee für eine Ich-AG, das Buchprojekt Wie ich nicht peinlich bin. Aber wahrscheinlich ist die Zielgruppe zu blind dafür.

„Ich glaube, der Markt zieht an“, sagt Jo.

„Die Kriege“, freut sich der Bürger und streichelt seine Schenkel. In was für Aktien hat der denn investiert? Der Ölpreis schießt nach oben und der Dow Jones dümpelt vor sich hin.

„Die Amerikaner“, schiebt Jo nach, „wollen alles tyrannisieren.“ Damit hat er Recht, aber das weiß doch jeder. Nicht angeben, einen ausgeben, lautet hier das Motto. Anständiger Kerl, der Jo, wenn er’s hat, aber wann hat er schon mal. Jedenfalls nicht, wenn er weiter nachbetet, was in jedem Wirtschaftsteil steht. Hat anscheinend noch nie von Insidergeschäften gehört.

„Da ist er schon wieder“, sagt der Bürger und starrt hinaus.

„Wer?“, sag ich.

„Bosch“, sagt er. „Ist da schon seit zehn Minuten, marschiert dauernd auf und ab.“

„Bosch wie die Bosch-Kühlschränke?“, sagt der kleine Alf, der gerade von hinten, von St. Privat, zurückkommt. Und ist nicht mehr zu bremsen. Wie er seinen Bosch-Kühlschrank loswerden wollte. Umsonst für Selbstholer hat er umsonst in der Zweiten Hand inseriert. Konnte er gleich im Internet eingeben. Wieder so ein Beruf, der weggefallen ist, Annoncenwerber.

„Drei haben sich auch gemeldet“, sagt der kleine Alf, „drei Polen.“

„Die haben ja sonst nichts zu tun“, sagt der Bürger. Anscheinend doch, denn kein Pole wollte Alfs leicht rostigen Kühlschrank. Nicht mal umsonst. Haben schon am Telefon gefragt, wie alt er ist und ob er irgendwo rostet. Die Polen wissen, wie man abzockt, und jetzt zocken sie uns in der EU ab. Wenn wir nicht aufpassen, sind wir bald die armen Nachbarn. Dann dürfen wir noch dankbar sein, wenn wir bei ihnen putzen können.

Der alte Arnold legt wieder los und knurrt Bosch an, der sich weiter vor der Tür einregnen lässt.

„Kommen Sie rein, er frisst Sie schon nicht“, sagt der Bürger. Das sagen Hundebesitzer immer. Und er zog seinen Colt langsam aus dem Hüftgurt, hebt ihn, die Muskeln spannen sich. Die Augen werden zu Schlitzen und der Mund verzieht sich zu einem grausamen Strich. Ein leichtes Knacken, und in der staubigen Ferne wird ein Hund zum Kadaver. Über dem Saloon geht rot die Sonne auf.

Kommt Bosch also rein, schielt nach dem Hund und fragt, ob Martin Kühntopp da war.

„Was woll’n Sie denn haben?“, fragt Jo zurück. Hat doch tatsächlich mal Geld gemacht, mit seinen Optionsscheinen, erstaunlich. Und da geht nun ein Hin und Her los zwischen den beiden, weil Bosch sagt, er will gar nicht, und Entschuldigung, das soll keine Beleidigung sein, also gut, dann nimmt er eben ’nen Latte.

„Sie haben es wohl nicht so mit dem deutschen Reinheitsgebot?!“, sagt Jo.

Der Bürger wartet die ganze Zeit natürlich bloß auf das Stichwort, und nun schwadroniert er sich einen ab wegen dem Standortproblem Deutschland. Und dass hier niemand mehr den Genitiv kann. Wenn er über ein neues Deutschland redet, dann sollte er sich auch’n neuen Hund zulegen. Und natürlich fängt Alf an:

„Gib doch mal Pfötchen! Nun gib mir doch mal Pfötchen!“ Igittigitt! Und dabei redet er allen möglichen Stuss über Erziehung durch Güte und reinrassiger Hund und intelligenter Hund.

„Wusstet ihr schon, dass manche Hunde intelligenter sind als ihre Herrchen?“, sage ich.

„Das ist wissenschaftlich ausgeschlossen“, sagt Bosch. Das meint der anscheinend ernst, dabei sollen Juden doch so witzig sein.

Jo bildet sich inzwischen mit Bild, die er angeblich nur wegen dem Sportteil liest.

„Hassprediger jubelt über deutsche Justiz“, liest er vor. „Kriegen wir den nie raus?“

„Wir werden Gewalt gegen Gewalt setzen“, sagt der Bürger, der seit neuestem begeistert unseren Innenminister zitiert: Wer den Tod liebt, kann ihn haben.

Fangen sie denn also an, über die Todesstrafe zu reden, und ob man muslimische Terroristen im Notfall abknallen darf. Und natürlich kommt Bosch mit allem möglichen Warum und Weshalb, und die ganze Zeit schnüffelt der alte Arnoldschwarzenegger an ihm rum. Bosch ist ein Phänomen! Als Jude müsste er doch eigentlich dafür sein, dass mit den Muslims nicht lange gefackelt wird. Ein Phänomen ist auch, dass er es überhaupt zu Susanne gebracht hat. In Kreisen nur Molly genannt, weil sie so mollig ist. Sieht aber echt gut aus für ihr Gewicht, obwohl ihre Hüften so breit sind, dass sie es mit jeder Couch Potato aus Übersee aufnehmen könnte. Wie in jedem Jahr trug erneut eine Amerikanerin den Sieg davon im jährlichen Wettquetschen von Eisenach: Diesmal war es Lynn Delano aus Tennessee, die als Erste in der mittelalterlichen Wendeltreppe der Wartburg stecken blieb. In den Annalen der Burg wurde sie als „Calamity Lynn“ verzeichnet. Ihre Hüften maßen genau 1,10 Meter – zu breit für die Wendeltreppe, die an ihrer schmalsten Stelle nur 1,08 Meter aufweist. Das Wettquetschen von Eisenach wird jährlich von den örtlichen Touristenführern ausgerichtet und erfordert keinerlei Vorbereitungen: Die Reiseleiter warten einfach ab, bis sich die erste Touristin in der Treppe verfängt, und unterrichten dann ihre Kollegen. „Allerdings waren wir überrascht, dass es schon so früh geschah“, gab Michael Moor zu Protokoll, der den diesjährigen Vorfall melden konnte. „Meistens müssen wir bis zur Sommersaison warten, bis die erste dicke Amerikanerin die Realitäten verkennt.“

„Sie haben mich nicht richtig verstanden“, sagt Bosch. „Ich meine vielmehr …“

„Dasselbe noch mal“, ordert Jo ungerührt. Seine Optionsscheine scheinen Optionen abgeworfen zu haben.

„Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch irgendwas wollen?“, sagt er.

„Vielen Dank, nein“, sagt Bosch, „eigentlich wollte ich bloß Martin Kühntopp hier treffen, seh’n Sie, wegen einer Bürgschaft für einen Kenianer. Damit er hier studieren kann.“ Seit sein Sohn schon als Baby gestorben ist, sucht Bosch ein Adoptivkind, das weiß jeder. Aber jeder weiß auch, dass er gut im Geschäft ist. Hat mit Aktien für chinesisches Bier gehandelt, darauf können nur Leute kommen, deren Vorfahren aus Russland stammen. Manchmal ist es ganz schön profitabel, Jude zu sein. Dann hat man wenigstens weltweite Kontakte.

„Wen will denn euer langes Elend zum Kanzler machen, Alf?“, sagt Jo. Als ob sich diese Frage noch im Maskulin stellen würde. Aber Alf arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Merz, und da muss man die Perspektive des Chefs einnehmen.

„Einen Freund von dir“, sagt Alf.

„Doch nicht der, den ich mir denke?“ sagt Jo.

„Ich möcht keine Namen nennen“, sagt Alf.

„Dacht ich’s mir doch“, sagt Jo. „Ich habe ihn nämlich jetzt grad auf dem Bundesparteitag gesehen, war mal wieder Streit über die Kopfpauschale.“

Fängt also Jo an, mit seinem Wissen über die Krankenversicherungen anzugeben, und der Bürger findet das alles Scheiße.

„Typisch Deutschland, alle klagen auf höchstem Niveau“, sagt er. „Die Leute müssen mal wieder arbeiten lernen. Sozialhilferunter, danngibtsauchjobs.“ Mischt sich natürlich unser Klugscheißer Bosch ein und erzählt einen von Marktschwäche und dass Löhne nicht nur Kosten sind, sondern auch Nachfrage. Weil er nämlich mal Anlageberater war, glaubt er jetzt alles über Wirtschaft zu wissen.

„Die Löhne müssen runter!“, sagt der Bürger, der Meinungen genauso oft wiederholen kann wie seine Lieblingsorder Einmal Bier mit Mayo, aber mit Zack. Und überhaupt, nicht alles sei Markt, sondern auch nationale Aufgabe. Und nun ist er bei seinem Lieblingsthema, der EM. (Ich kann nämlich doch den Genitiv.) Wie wir überhaupt gar keine Chancen haben können, weil in der Bundesliga nur Ausländer spielen. Und natürlich muss Bosch wieder klugschnacken, von wegen dass man ja auch das Ausländerrecht ändern könnte wie die Franzosen.

„Ich warte nur drauf, dass es bei der EM zugeht wie beim Grand Prix“, sagt Bob. Huch, den habe ich ja noch gar nicht bemerkt, der muss in irgendeiner Nachbarhöhle in diesem Keller rumgehangen haben. „You make a wonderful show und dann gewinnen immerzu die Osteuropäer.“ Und Bosch quatscht wieder dazwischen, wieso, die Ukrainerin hätte einfach die beste Performance abgeliefert. „Das stand sogar in der taz!“ Als ob das ein Argument wäre.

Sie war ganz simpel, je, je, je

stand entschlossen auf der Bühne,

je, je, je

guckte in die Kameras, je, je, je,

versprach allen das Äußerste,

je, je, je

Und war ganz sie selbst, oh je.

„Und wie findet Ihr Anke Engelke?“, sagt Jo, als ob das gerade das Thema wär. Wie kommt er denn auf diese Frage, singt die auch?

„Immer noch besser als Stuckrad-Barre“, antwortet Alf. Das war kalkuliert, Stuckrad kennt Molly nämlich. Sogar etwas besser, wie wir wissen. Alle warten wir nur darauf, dass er endlich auch diese Affäre in der Süddeutschen publiziert. Das würden wir Bosch echt gönnen.

Journalist: Stimmt es, dass Sie längere Zeit in Suchtkliniken verbracht haben?

Stuckrad: Ja, ich fand alles nur noch zum Kotzen. Wörtlich.

Journalist: Wie ist das passiert?

Stuckrad: Ich spürte mich selbst nicht mehr, weil ich auch Molly nicht mehr spüren konnte.

Journalist: Ist das ebenfalls wörtlich gemeint?

Stuckrad: Ja, wir haben uns voneinander entfernt, in jedem Sinn, den dieser Begriff begreifen kann.

„Hallo Nick.“

„Hallo Alf.“

„Hallo J.J.“

„Hallo, Jo.“

Bestellt denn J.J. die Getränke.

„Wart Ihr auf dem Gericht?“, sagt Jo. Wirklich ein Trottel, glaubt an die Gerechtigkeit. Lässt sich erst betrügen und denkt dann, dass er das Geld irgendwie einklagen kann. Die Börse von heute ist das Pferderennen von früher. Nur Insidergeschäfte.

„Wusstest du das?“, sage ich, „30 Milliarden Euro Schaden durch Anlagebetrug. Jährlich. Schätzt die Regierung.“ Aber Jo hört gar nicht zu, streichelt diesen dämlichen Arnoldschwarzenegger. Wie kann man nur denken, dass man als Kleinaktionär zu Millionen kommen könnte. Hat selbst einen Eintrag bei der Schufa, kennt nur Leute mit einem Eintrag bei der Schufa und ist als Kreditleiche bei der FDP! Es war eine historische und schwere Rede, die Parteichef Westerwelle halten musste. Der Beifall brauste, als er zum Schlusswort ansetzte: Die FDP wird die Definitionshoheit über den Begriff „liberal“ verteidigen. Liberale machen deutlich, was liberal bedeutet. Es gibt nur ein liberales Original: die FDP.

Inzwischen hat sich der kleine Alf das deutsche Aufklärungsblatt geschnappt:

„Niederländer haben es wissenschaftlich ermittelt: Jeder Zuwanderer kostet die Sozialkassen 200.000 Euro“, liest er vor.

„Kommen nach Deutschland“, sagt der Bürger, „und versauen das ganze Land.“

Bosch tut so, als ob er nichts gehört hätte, redet mit Jo und erzählt ihm, er braucht sich keine Sorgen zu machen wegen dem Ersten. Na, da liegt er aber falsch, Geld ist weg und bleibt weg, wenn man es Spekulatius Jo einmal geliehen hat. Was ist Ihr Geheimnis bei diesem deutschen Weihnachtsgebäck?, fragt der Reporter. Cardamom, aber nur eine feine Prise, antwortet Witzigmann. Am besten direkt aus Afrika.

„Bescheißen jeden“, sagt der Bürger, „Wir brauchen keine Fremdlinge hier.“

„Hat jemand von euch ’ne Nichte, die noch unverheiratet ist?“, sagt Alf dazwischen, der immer noch das deutsche Bildungsblatt liest. „Kann glatt First Lady in Schleswig-HolSTein werden.“ Und er STolpert über den SPiTZen STein. „Samt Villa am Schlick. CDU-Wattenkönig-CarSTensen sucht ne Frau.“

„Die Fremden“, sagt der Bürger. „Unsere eigene Schuld. Wir haben sie ja reingelassen. Haben sie selber reingebracht.“

Jedenfalls, in dem Moment kommt Johannes Nöhl rein, der auf seinem Mittel-W. besteht. Seit der zwei Monate den Sommerkurs in Harvard besucht hat, heißt er für sich selbst nur noch Johannes W. Nöhl. Hinter ihm schleicht Lenau, der so aussieht, als ob er Magenkrämpfe hätte.

„Na“, sagt der Bürger, „was ist denn das Neueste auf dem Kriegsschauplatz? Was haben diese Biertischstrategen im Bundestag denn nun über die Zuwanderung beschlossen?“

„Bisher nichts“, antwortet Mittel-W-Nöhl müde. „Der Kanzler redet von Einigung und die Union von der Chance auf eine Einigung.“

„Ein Glück, dass es den Beckstein gibt“, sagt der Bürger. „Sonst wäre schon der ganze Balkan hier.“ Und jetzt könnte ihn nur noch eine Beckstein-Fan-CD zum Schweigen bringen. Wäre auch mal was für eine Ich-AG: Ein Schuhplattler mit Originalzitaten des Innenministers.

Oh Heimatland, mein Bayernland, ein Stücklein Paradies

dass du innen so sicher bist, ich bin so stolz auf dich.

Selbst der Türke ist hier sicherer als daheim bei sich,

da jauchze ich aus voller Brust: „Ein Stückchen Paradies!“

„Haben keine Musik, keine Kunst, keine Literatur“, sagt der Bürger. „Die ganze Zivilisation, die die Balkanesen haben, ist bei uns gestohlen.“

„Was ist denn mit Ihnen los?“, sag ich zu Lenau.

Schon wieder Verluste bei den Aktien, wie es scheint. „Nur die chinesischen Bieraktien sind gestiegen. Ein glatter Außenseiter. Der Rest eine einzige Pleite.“

Und Mittel-W-Nöhl und der Bürger debattieren weiter über Gesetz und Geschichte, und Bosch kommt ihnen mit seinen Sprüchen dazwischen.

„Wir profitieren von der Globalisierung. Wir sind Exportweltmeister“, sagt er.

„Was heißt hier wir!“, sagt der Bürger. „Die Deutschen in Deutschland werden immer weniger! Wir sterben aus! Bis 2050!“ Er ist so erregt, dass er am Methusalem-Komplott bestimmt nicht mehr teilnehmen muss. Wird schon jetzt fast vom Herzinfarkt ereilt. Sogar sein Bier schlürft er mit Ausrufezeichen. Schschhschhllllllrrrrrfffff! Schschlllrrffff!! Schschllrrfff!!! Schlrf!!!! Schf!!!!! S!!!!!!!

Alf hängt immer noch über der Bild.

Bewiesen!, liest er die Titelseite vor. Pendler werden schneller dick! Das Risiko der Fettleibigkeit steigt mit jeder halben Stunde Fahrzeit um drei Prozent. Diese Erkenntnis gewannen US-Forscher aus einer Studie mit 10.500 Bewohnern des Großraums Atlanta.

„Und was ist mit dem Irak?“, sagt Nick.

„Die Hölle auf Erden ist das“, sagt der Bürger. „Lest mal die Enthüllungen, die jetzt dauernd durch die Zeitungen gehen.“ Gott, was für ein Blender. Tut wirklich so, als sei er der Einzige, der lesen kann. Was andere wissen, hat ihn noch nie interessiert. Und dann legt er los und erzählt uns, wie da im Abu Ghraib die ganze Gefangenen-Crew antreten muss, und der Specialist mit seinem Video, und wie dann so ein gestandener Iraker rausgeführt wird, der nach seiner Mama heult, und wie sie ihn wie einen Hund an der Leine festbinden.

„Das ist eure glorreiche US-Marine“, sagt der Bürger, „die alle Welt an der Kandare hat.“

„Ein Reich, in dem die Sonne nie aufgeht“, sagt Jo.

„Und das Tragische daran ist“, sagt der Bürger, „sie glauben auch noch dran. Diese armen Irren glauben daran!“

„Wir werden unsere Mission erfüllen“, sagt J.J., und säbelt mit der rechten Hand schräg durch die Luft. Der könnte auch ’ne ICH-AG gründen, als Bush-Double, „und wir werden unsere Mission beenden.“

„Noch einmal die Runde“, sagt Jo. Und für Bosch schon wieder einen Latte.

Der redet und redet derweil mit Mittel-W-Nöhl, und die Aufregung zuckt ihm nur so durchs Gesicht.

„Nationalhass“, sagt er, „die ganze Weltgeschichte ist voll davon.“

„Ist es denn leicht für Sie, überhaupt zu entscheiden, welcher Nation Sie angehören?“, sagt Mittel-W-Nöhl und macht auf verständnisinnig.

„Deutschland“, sagt Bosch. „Ich bin hier geboren.“

„Schieb uns mal die Drinks rüber“, sag ich. „Welcher gehört denn wem?“

„Und dann gehöre ich einem Volk an“, sagt Bosch, „das immer noch gehasst wird.“

„Ihr werdet nicht gehasst“, sagt Alf, „sondern nur kritisiert. Ist doch Wahnsinn, was Scharon mit den Palästinensern anstellt. Aber Ihr seht euch immer nur als Opfer.“

Bosch will noch was sagen, aber er zögert, murmelt, dass es auch jüdische Scharon-Kritiker gibt und irgendetwas von Liebe. Und saust ab zur Bank rüber. Will mal sehen, ob Martin Kühntopp da ist. Wegen seinem Kenianer.

„Ich weiß, wo er hin ist“, sagt Lenau und knackt mit den Fingern.

„Wer?“, sag ich.

„Bosch“, sagt er. „In Wahrheit hat er diese chinesischen Bieraktien gekauft und ist nun hin, um den Handel abzuwickeln.“

„Was, dieser Niemand, dieser gescheiterte Anlageberater?“, sagt der Bürger.

Ich muss mal verschwinden. Diese Kneipengrotte sieht ja aus wie Lourdes. Selbst auf der Toilette sind nur Kerzen. (Gott, ich habe zu viel getrunken. Das wird sich nachher rächen beim Kieser-Rückentraining.) Eigentlich auch ’ne ganz lustige Idee mit diesen roten Plüschherzen über dem Spiegel. Mann, ich seh aber nicht gut aus beim Pissen. Bin ja schon fast so faltig wie Bosch. Ist schon raffiniert, dass er mit seinen Arbitragegewinnen abhaut, ohne einen auszugeben. Irgendwas drückt da, vielleicht sollte ich doch mal zur Prostata-Untersuchung gehen. Oder muss man die jetzt auch selbst zahlen? (Jesus, ich war doch tatsächlich bis obenhin voll) Und wenn, wovon? (Na endlich, der Rest.) Chinesische Bieraktien, und unsereins wird mit der Postbank beschissen.

Als ich zurückkomme, sagt Mittel-W-Nöhl gerade: „Oh, da kommt er ja.“

„Standesgemäß wie immer“, sagt er, „gleich im BMW.“ Tatsächlich, Martin Kühntopp, direkt aus dem Kanzleramt. Neben ihm steigt ein Bursche namens Meier aus, mit ei, bitte, der im Verbraucherministerium Karriere gemacht hat. Und zwar gerade weil er zu nichts zu verbrauchen ist. Also hat man ihn auf eine abwegige B-4-Stelle befördert, wo er keinen Schaden anrichten kann. Beamter müsste man sein. Aber halt, Neiddebatten sind in Deutschland verboten. Das Gesundheitsministerium warnt: Neider sterben früher. Neiden kann tödlich sein.

„Wo steckt denn Bosch?“, sagt Martin. „Wir können nicht warten.“ Ganz das eilige Kanzleramt. Eigentlich ein Phänomen, dass so’n Wichtigtuer bereit ist, in dieses Loch abzusteigen. Ist doch unter seiner Karrierewürde, in diesem billigen roten Plüsch zu kauern. Aber so war das schon bei Joyce. Da konnten arbeitslose Alkis auch ständig damit prahlen, wen sie alles in der Stadtregierung von Dublin kennen. Scheint was dran zu sein an der These, dass Politiker Kleinbürger sein müssen, weil die meisten Wähler es auch sind. Aber mit Großbürgerstolz, Abstammung zählt wie beim Adel. Genealogie ist das Lieblingsthema vom Bürger. Hat seiner Frau mal ein Wappen malen lassen, alles glatt erfunden, mit drei Tannen drauf, weil sie eine geborene Finsterwalde ist.

„Keineswegs“, sagt Martin gerade. Irgendwie habe ich wohl den Anschluss verpasst, scheinen aber immer noch über Bosch und seine Abstammung zu reden.

„Er hieß früher so … „ sagt Martin und malt auf einem Bierdeckel KYCT.

„Ist ja so kurz wie die Steuererklärung, die dein Chef anpeilt“, sage ich zu Alf.

„Sein Vater hat das amtlich ändern lassen, der sich vergiftet hat“, sagt Martin.

„Und wie spricht man das aus?“, sagt der Bürger. „Warum können die Russen noch nicht mal anständig schreiben? Da sind ja die Türken schon weiter.“

„Wie Knust, ohne n“, sagt Martin. Das sei Busch auf Russisch.

„Ach, deswegen heißt er Bosch“, sagt der Bürger und kommt ins Schwadronieren über sein zweites Lieblingsthema, die germanische Sprachfamilie. Bosch sei nämlich im Altniederländischen Busch, „heißt jetzt dort nur noch bos“.

„War jedenfalls weitsichtig vom Vater, dass er sich nicht Bush genannt hat“, sage ich. „Sonst müsste er sich bald wieder umbenennen. Wie alle Adolfs früher.“

„Vielleicht gibt es da mehr Verbindungen, als du denkst“, sagt der Bürger grimmig, der jedem erzählt, der es nicht hören will, dass Scharon nur noch an der Macht ist, weil er durch jüdische Lobbyisten in New York und Washington gedeckt wird.

Und nun platzt Bosch wieder zur Tür herein.

„Ich war nur rasch noch auf der Bank“, sagt er, „Sie suchen. Hoffentlich bin ich nicht …“

„Nein“, sagt Martin, „wir sind fertig.“

Auf der Bank, ach nein. Und kein Wort von den Bieraktien.

„Keinem weitererzählen“, sagt der Bürger.

„Wie bitte?“, sagt er.

„Jetzt woll’n wir aber“, sagt Martin.

„Ja keinem Menschen“, sagt der Bürger. „Bleibt ein Geheimnis.“

Und der verdammte Hund wacht auf und knurrt ebenfalls los.

„Also Wiedersehn allerseits“, sagt Martin und zischt mit Bosch und Meier zu seinem BMW.

„Scharon soll leben, dreimal hoch!“, schreit der Bürger. Und hinter ihm bäumt sich dieser doofe Arnoldschwarzenegger auf, der so dämlich aussieht wie die Wölfe, die Emmerichs Helden beinah fressen. Aber eben nur beinah, sonst wäre der day after tomorrow ja nur ein morning gewesen. Und Bosch passiert natürlich auch nichts. HUND BEISST MANN ist sowieso keine spannende Story.

Bosch guckt gequält, auch Worte können treffen, als sei die Keksdose nach ihm geworfen worden, die neben der Cappuccino-Maschine steht. Danish Cookies, weiß nicht, warum alle Barkeeper sich ausgerechnet für diese fettige Marke entscheiden. Und der Kaiser sandte einen Erlass, dass alle Kekse mit dänischen und russischen Vorfahren aus dem heiligen Land zu verbannen seien.

Noch einmal wendet der schwarze BMW und die Sonne bricht durch die Regenwolken. Sie gleißt hinein ins Cabriolet, die hellgelben Ledersitze werden gelber, Boschs roter Pullover wird röter – und so fahren sie von dannen, wie eine deutsche Flagge auf Rädern.