„Ich halte es mit Don Camillo. Ich rede kurz mit meinem Herrn, dann machen wir es“

Norbert Walter (59) ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. „Ich bin Grenzgänger“, erklärt Walter der taz seine Fähigkeit, Gott und dem Mammon gleichzeitig zu dienen. Aber das Bibelwort: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“, kann er „nur schwer verdauen“.

INTERVIEW STEPHAN KOSCH
UND BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Walter, vor kurzem haben die Katholiken Fronleichnam gefeiert. Waren Sie auch auf einer Prozession?

Norbert Walter: Nein, ich hatte eine Konferenz organisiert, die nur an diesem Tag möglich war. Aber meine Frau hat auch gesagt: Du führst dich immer so auf – und wenn ein großes Fest ansteht, gehst du zum Arbeiten nach Berlin.

In der Bibel steht auch: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Ich bin Grenzgänger. Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken fühle ich mich verpflichtet, das Ökonomische anzumahnen. Und in der Deutschen Bank muss ich dafür sorgen, dass Partnerschaft, Kind und Karriere gleichzeitig möglich sind.

Sie können also Gott und dem Mammon dienen?

Es hat keinen Sinn, dass ein Bischof mit seinen Kirchensteuern unvernünftig umgeht. Und ich glaube, dass man eine bessere Professionalität im Geschäftlichen hat, wenn man die menschlichen Beziehungen eines Mitarbeiters wahrnimmt.

Aber Gott ist dabei doch kein Thema mehr.

Bei uns ist Religion aus dem öffentlichen Leben völlig verschwunden. Es gibt ja nicht mal eine Atheismusdebatte. Selbst das wäre eine Bereicherung.

Viele Leute sind froh, dass Gott verschwindet.

Das ist eine Katastrophe. So wie die Menschen gebaut sind, brauchen sie einen Anker im Emotionalen und im Wertesystem. Dafür brauche ich mindestens Philosophie, wahrscheinlich auch Religion. Ohne sie würden wir in absehbarer Zeit verarmen.

Sie meinen geistig?

Zunächst ja. Aber wenn die geistige Armut um sich greift, erzeugt das schlussendlich auch materielle Not.

In der Deutschen Bank wird der Mensch vor allem als ökonomisches Wesen gesehen.

Für mich ist das kein Widerspruch. Wir tragen auch Verantwortung für die ökonomischen Dinge. Das Manna fällt nicht typischerweise vom Himmel. Wenn ich eine Wirtschaftsordnung nicht unterstütze, die die Talente der Menschen herausfordert und einfordert, dann verletze ich auch eine Treuepflicht, die ich aus meinen religiösen Bezug herleite. In der Bibel gibt es ein paar Hinweise darauf, dass es nicht angemessen ist, herumzusitzen und darauf zu warten, dass einem geholfen wird.

Aber Gott bewertet die Menschen nicht nach der Leistung.

Deshalb ist unser Menschenbild auch aus dem Gottesbezug abgeleitet. Wenn jemand eine Leistung im Sinne des Marktes nicht erbringen kann, verwirkt er damit nicht sein Recht auf menschenwürdiges Leben. Aber hier ist nicht nur der Betrieb in der Verantwortung, sondern auch Familie und Staat. Wenn ich den Mutterschutz finanziell auf die Betriebe verlagere, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Unternehmen keine Mütter einstellen. Darüber kann man sich aufregen. Aber es ist klüger, diese Dinge anders zu regeln.

Man kann sich auch über andere Dinge aufregen. Zum Beispiel über diesen Satz in der Bibel: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Es gibt Sätze in der Bibel, die sind schwer zu verdauen. Dieser ist so einer. Es gibt Arme, die sich daneben benehmen, und Reiche, die das tun. Warum jemand nur weil er reich ist, einer menschlichen oder religiösen Aufgabe nicht entsprechen sollte, das will mir schwer in den Kopf.

Vielleicht war es für Jesus die Erfahrung, dass Reiche oft reich sind, weil Arme arm sind.

Die menschliche Erfahrung zeigt, das man am besten reich wird, indem man Menschen um sich herum motiviert, mit einem zu wirken, und nicht in dem man sie auspresst. Ich bin in meinem Beruf nicht vor allem durch meine Leistung groß geworden. Ich bin erfolgreich, weil ich ein Team motiviert habe.

Sie betonen ja sehr die Verantwortung jedes Einzelnen für sein Leben …

… sofern er das Potenzial dazu hat – ja.

Wenn jeder tut, was er kann, was tut die Kirche dann noch?

Es gibt sehr viele, die sich am Ende nicht selbst helfen können. Das ist dann die Aufgabe der Gesellschaft und auch der Kirchen. Die Kirche soll das Bewusstsein dafür wach halten. Aber sie muss nicht so oft zur Dauerbetreuung werden. Der Kolping-Ansatz – Hilfe zur Selbsthilfe – ist mir schon sympathischer als die große permanente Umverteilung.

Wie halten Sie es denn dann mit der Kirchensteuer? Einerseits plädieren Sie als Ökonom immer für Steuerentlastung. Andererseits bringt genau diese Entlastung über die Lohnsteuer die Kirchen in große Probleme.

Ordnungspolitisch heißt die Antwort klar: Kirchensteuer ist ein falsches Prinzip. Aber in unserer Gesellschaft ist die Bereitschaft zu Gemeinschaftsleistungen offensichtlich stark unterentwickelt. Ohne Kirchensteuern würden sich die Einkünfte bei den Kirchen dramatisch verringern. Dann wären Krankenhäuser, Kitas, Denkmäler und auch viel musikalisches Leben gefährdet. Ich gewichte meine Ordnungsprinzipien nicht so hoch, dass ich sie an jeder Stelle bedingungslos einfordere.

Die meisten Kirchen der Welt finanzieren sich durch freiwillige Spenden. Sind deutsche Christen egoistischer?

Das muss man so sehen. Wir geben nicht so große Scheine in die Kollekte wie andere. Wir haben vor lauter Zwangsabgaben verlernt, die Schönheit der privaten Caritas, der Nächstenliebe, zu empfinden und zu leben. Wir sind auch eine Gesellschaft, die denen gegenüber, die diese Leistungen noch immer erbringen, nicht dankbar ist.

Wie fühlen Sie sich denn als Leistungsträger der Wirtschaft, wenn Sie in der Kirche sind? Die Gesellschaft sucht Ihren Rat, aber in der Kirche müssen Sie still in der Bank sitzen.

Ich darf predigen, aber ich brauche dazu eine Genehmigung. Ich habe das auch schon gemacht. Normalerweise ist aber mein Platz in den Sitzbänken hinten. Ich bin auch zufrieden damit, mitzusingen und zu feiern. Hin und wieder ist die Predigt, die ich höre, aber auch eine Tortur. Voll von ökonomisch dummen Zeug. Da sollte man aufstehen und sagen: Vielleicht könntet Ihr mal einen Fachmann fragen.

Das wäre ein Affront. Machen Sie so etwas?

In meiner Kieler Gemeinde bin ich mal nach der Messe zum Pfarrer gegangen und habe gesagt: Sie könnten mir offenbar auch den Blinddarm rausnehmen, weil Sie anscheinend alles wissen. Darauf hat er mich dann etwa zehnmal vor einer Predigt um ökonomischen Rat gefragt.

Sie fordern viele Reformen in Deutschland. Auch die katholische Kirche ist stark reformbedürftig: Zölibat, Priestertum der Frau, Ökumene.

Es kann sein, dass man ein bedeutendes Amt nur ausfüllen kann, wenn man sich ihm voll widmet. Aber der Zwang beim Zölibat sollte aufgehoben werden. Mit einer Frau im Priesteramt habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten.

Sie waren an der Planung des Ökumenischen Kirchentages 2003 beteiligt. Wie geht es weiter?

Das war eine sehr bewegende positive Erfahrung. Der nächste ökumenische Kirchentag sollte aber schon 2006 stattfinden. Vier Jahre Zwischenraum sind zu lang.

Wie sieht denn für den Ökonomen Walter die Fusion der beiden christlichen Kirchen aus? Eine feindliche Übernahme oder ein „merger of equals“?

Das muss ein Zusammengehen von Gleichen sein. Und das müssen wir als Kirche von unten machen. Die Spitze wird sich nicht zuerst bewegen. Und dennoch brauchen wir dafür einen Papst. Wer sonst könnte etwa dem US-Präsidenten widersprechen, wie etwa es der Papst beim Irakkrieg getan hat. Auf evangelischer Seite fällt einem da niemand ein.

Noch trennt die beiden Konfessionen vieles. Die katholische Kirche verbietet das gemeinsame Abendmahl.

Wir in unserer Familie hatten da noch nie Berührungsängste. Wir sind immer dort zum Abendmahl gegangen, wo wir im Gottesdienst waren. Ich halte es da mit Don Camillo: Ich rede vorher kurz mit meinem Herren darüber, und dann machen wir es.

Don Camillo schlägt sich mit den Kommunisten. Aber war Jesus nicht ein Sozialist?

Es gibt radikale Aussagen in der Bibel, die man so interpretieren kann. Wer mir nachfolgen will, der verlasse seine Familie und trenne sich von seinem Reichtum. Aber ich würde Jesus schon gern fragen, wie er eine vernünftige Ordnung etablieren will, wenn er die Einstellung seiner Mitmenschen so prägt.

Wollte Jesus das denn? Eine vernünftige Ordnung?

Geht hin und lehret alle Völker, macht euch die Erde untertan – das verstehe ich als Aufruf zur organisierten Nutzung der Ressourcen. Max Weber hat Religion und Wirtschaft untersucht. Danach sind manche protestantische Linien des Glaubens wie die kalvinistische für wirtschaftliche Entwicklungen ziemlich günstig. Wenn Sie sich international umsehen, stellt man fest: Islamische Länder werden ökonomisch selten was, katholische tun sich etwas schwer.

Wenn man konsequent wäre, könnte man die Kirchen doch abschaffen. Der Kapitalismus wäre bestimmt die effizientere Religion.

Reich zu werden ist nicht alles.

Das sagen Sie.

Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir sind alle so gebastelt, dass wir geliebt werden wollen. Ökonomie reicht da nicht. Es gibt mehr Wünsche bei den Menschen.