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Noch ist Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ nicht in den US-Kinos zu sehen. Die Debatte um den Film hat dennoch bereits eine Lautstärke erreicht, die keine Werbekampagne übertreffen könnte

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Amerikas Konservative sollten es mittlerweile besser wissen. Ihr medialer Feldzug gegen Mel Gibsons Jesus-Film lockte noch den letzten Atheisten ins Kino. Die Schimpftiraden gegen Roland Emmerichs Klimathriller „The Day After Tomorrow“ machten den Film erst Recht zu einem Kassenschlager. Die nunmehr auf Hochtouren laufende Verleumdungskampagne gegen Michael Moores neuen Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11“ wird vermutlich einen ähnlichen Effekt auslösen, wenn der Film kommende Woche in über 700 US-Kinos anläuft.

Sie können nicht anders

Doch sie können nicht anders. Es ist Wahljahr. George W. Bush ist unbeliebt wie nie zuvor. Die Nachrichten sind voll mit Negativmeldungen über den Irak. Und ihr Patriotismus ist zutiefst gekränkt, wenn sich jemand in Kriegszeiten erdreistet, dem Präsidenten derart an den Karren zu pinkeln.

Die Kontroverse um „Fahrenheit 9/11“ begann lange, bevor jemand hierzulande den Streifen überhaupt zu Gesicht bekam. Der Disney-Konzern, der den Film ursprünglich vermarkten wollte, weigerte sich. Man munkelt, die konservative Unternehmensspitze fürchtete um Millionensubventionen aus dem Staatssäckel von Jeff Bush, Gouverneur von Florida und kleiner Bruder des großen Kriegspräsidenten im Weißen Haus. Nachdem Moore jedoch in Cannes die Goldene Palme gewann, rissen sich die Filmverleiher plötzlich um die Vermarktungsrechte.

Die Aussicht auf den nahen Filmstart, unveröffentlichte schockierende Aufnahmen aus dem Irakkrieg und äußerst unvorteilhafte Bush-Bilder mobilisierte eifrige Parteifreunde des Präsidenten. In einem medialen Präventivschlag rufen sie zum Boykott des Films auf. „Stop Michael Moore“, fordert die Organisation „Move America Forward“ und mahnt ihre Sympathisanten, etwas dagegen zu unternehmen, dass sein antiamerikanischer Film veröffentlicht wird. Dieser solle lieber „als Rekrutierungsvideo für al-Qaida gezeigt werden, nicht aber in unseren Kinos“, heißt es in dem Aufruf. Überdies versuchen die rechten Aktivisten, Filmverleiher und Kinobetreiber einzuschüchtern, indem sie auf einer schwarzen Web-Liste all jene benennen, die den Film zeigen wollen.

Rechte Werbekampagne

„Move America Forward“ gilt als schlagkräftige Organisation. Sie wird geleitet von konservativen Radiomoderatoren, ehemaligen republikanischen Abgeordneten und Lobbyisten. Im vergangenen Jahr organisierten sie die Kampagne zur Abwahl des demokratischen Gouverneurs von Kalifornien. Unterstützt wird „Move America Forward“ von der „Citizen United“, die Kurzvideos fürs Fernsehen und Internet vorbereitet, in denen Moore als linker Propagandist und Amerikahasser gebrandmarkt werden soll.

Sie alle fühlen sich in ihrem Ehrgeiz dadurch beflügelt, dass die Kontrollstelle der US-Filmindustrie „Fahrenheit 9/11“ als jugendgefährdend einstufte. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen somit nicht allein ins Kino. Die Aufsichtsbehörde begründete ihren Schritt damit, dass der Film Aufnahmen von getöteten US-Soldaten und Misshandlungen irakischer Gefangener zeigt.

Zensur und rechter Protest werden sich vermutlich als Bumerang erweisen – wie bei „The Passion of the Christ“. Trotzdem verweisen liberale Kommentatoren auf erfolgreiche Störmanöver in der Vergangenheit. Ende 2003 gab der TV-Sender CBS in nur neun Tagen dem lautstarken Protest konservativer Radio- und Fernsehsprecher, Denkfabriken und prominenter Republikaner nach und nahm eine geplante Serie über Ronald Reagan aus dem Programm. Wirkung zeigte damals offenbar auch eine Art Drohbrief an die Topsponsoren im US-Fernsehgeschäft, keine Werbung zu schalten.

Der durch den Moore-Film entfachte konservative Aktionismus hat wiederum das liberale Lager auf den Plan gerufen. Hollywoodstars wie Leonardo DiCaprio, Tim Robbins und Spike Lee rühren die Werbetrommel. Die einflussreiche Bürgerinitiative „MoveOn.org“, finanziert unter anderem von Multimilliardär George Soros, hat alle ihre Mitglieder aufgerufen, am Eröffnungswochenende in die Kinos zu strömen und per E-Mail im Bekanntenkreis für den Film zu werben. Sie und andere Liberale hoffen, der Film werde Amerika wachrütteln und unentschlossene Wähler auf die Seite der Demokraten ziehen.

Beide Seiten bestätigt

Viele Kommentatoren sind sich jedoch einig, dass „Fahrenheit 9/11“ am Ende Republikanern und Demokraten gleichermaßen für die Mobilisierung der eigenen Reihen im Wahlkampf dient. Während sich die Demokraten in ihrer tiefen Abneigung gegen Bush bestätigt sehen, wittern Republikaner die liberale Verschwörung und verschanzen sich daher, taub für aufklärerische Momente, hinter ihrem Präsidenten. Dennoch lässt die heftige Gegenwehr der Konservativen darauf schließen, dass zumindest einige von ihnen sich der politischen Sprengkraft des Filmes bewusst sind. Ansonsten könnten sie den Film leichter ignorieren.