on the rail again
: Schlafende, wie geschlachtet

Henning Kober bereist per Interrail Europa. Heute: im Nachtzug

Donnerstag, 20.08 Uhr. Das Setting des Trenhotels, mein Aufenthaltsort für die nächsten 13 Stunden, Mailand–Barcelona: Niederflurwaggons, schmutzige Ruhesessel in antikem Businessclassdesign. Ich schwenke die Fußstütze nach oben, mir gegenüber Court, Bob und Jerry aus North Dakota, italienische Strohhüte auf den Köpfen, kurze Cargo-Hosen, Camel-Schuhe. Sie gleichen ihre Tagebücher ab. „Florence was good, nice girls, we got really drunk.“ Ich nicke starr und lese im Buch des Lebensfanatikers Dennis Cooper.

Donnerstag, 23.06 Uhr. Der Zug steht in Modane, der Grenzstation zu Frankreich. Aus einer Schlafkabine dringt fremdsprachiger Streit. Ich rauche erschöpft, was nur zwischen den Wagen erlaubt ist. Die Suche nach einem hübschen Gesicht ist unterbrochen, eigentlich schon aufgegeben. Meine Beine stehen im falschen Zug, und es bleibt nur, den Körper auf Roboter zu schalten. Zwei, drei Bier noch, dann schlafen.

Freitag, 5.37 Uhr. Das kleine Mädchen stößt im Schlaf schreckliche Schreie aus. Ich wache auf. In den Sitzen liegen verdrehte Körper wie geschlachtet. Der Blick durchs Fenster gleicht einem heilenden Schuss Vitamin B12. Er geht direkt aufs Meer. Nur ein paar Meter feuchter Sand dazwischen. Über dem schwarzblauen Wasser braunhelles Morgenlicht. Angenehmer Flimmerkontrast. Noch dreieinhalb Stunden bis Barcelona.