Ende wattierter Vorsicht

Die Homophobie islamistischer Quartiere auch nur anzusprechen widerspricht multikulturellem Wunschdenken. Ein Reader des LSVD bricht mit dem Tabu

Wahr und offenkundig ist: Die westliche, kapitalistische Welt verfolgt Schwule und Lesben kaum noch. Selbst in den USA bereitete der Oberste Gerichtshof kürzlich jenen bundesstaatlichen Gesetzen ein Ende, die „Sodomitisches“ oder „Homosexuelles“ verboten, ja unter Strafe stellten. Tödlichen, mindestens lebensbedrohenden Repressionen ausgesetzt waren alle Nichtheterosexuellen dort, wo sozialistischer Totalitarismus herrschte – oder sind es heute, schärfer denn je, dort, wo der Islam die politische Agenda bestimmt.

Ebenso zutreffend ist, dass diese Konflikte mitten in der westlichen Welt ihre Fortsetzung finden – nämlich in jenen Vierteln, in denen auch muslimisch geprägte Einwanderergruppen den Alltag in christlich-säkularen Mehrheitsgesellschaften prägen. Also auch in Deutschland, in seinen Metropolen. Das Buch „Muslime unter dem Regenbogen“ gibt einen exzellenten Überblick über die hieraus erwachsenden Probleme; es ist hervorgegangen aus einer verdienstvollen Vortragsreihe des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD).

Im Fokus aller Beiträge steht die bürgerrechtlich begründete Idee, dass Schwule und Lesben ihre Interessen anmelden müssen – selbst wenn dies das Gebot der politischen Korrektheit verletzt. Migranten, so der Tenor aller Texte, können nicht deshalb vor Diskussionen bewahrt werden, weil man ihnen den Status von Opfergruppen zubilligt.

Man kommt also zur Sache, frei von politischer Immunisierung. Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban etwa erklärt verständlich, dass nicht der Islam als solcher Homosexuelle verfolgt. Es ist der Islamismus, ein totalitärer Glaubensansatz, der aus dem Islam hervorgeht und ihn zugleich nutzt, um die individualistisch getönte Moderne des Westens zu bekämpfen. Dazu zählt das offen Homosexuelle ebenso wie der Grundsatz von der Gleichheit der Geschlechter. Zu Recht verweist Ghadban darauf, dass die Unterdrückung Homosexueller in allen islamistisch orientierten Ländern eher zu- denn abgenommen hat. Das Ideal, das dem islamistischen Terror vorangeht, heißt Reinheit – Reinheit des Glaubens und, daraus abgeleitet, der strikt bipolaren Geschlechterordnung.

Eva Gundermann und Thomas Kolb berichten in diesem Zusammenhang konkret über Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Identität am Beispiel des Libanon und Ägyptens – und können nicht mit multikulturell aufgemotzten Hoffnungsgeschichten aufwarten, laut denen ja trotz totalitärer Regime die Zivilgesellschaft immer liberaler wird.

Im Westen wiederum beharren viele unter der menschenfreundlichen Fahne der Multikulturalität in Frieden gelassene Einwanderer auf ihren Phobien vor Homosexuellen. Davon berichtet Gerbert van Loenen, Korrespondent der niederländischen Tageszeitung Trouw in Deutschland. Sein Beispiel ist der Aufstieg des Populisten Pim Fortuyn, der aus dem demoskopischen Nichts heraus Wähler dafür begeisterte, mit dem Schweigen über Homophobie unter Muslimen aufzuräumen: Er tat dies nicht, um sie ausweisen zu lassen, sondern um sie an die Bedingung des Lebens in einer westlichen Gesellschaft zu erinnern. Es gelte das Gebot, Nichtgläubige und Nichtheterosexuelle in Frieden zu lassen. Eine „Toleranz im Namen Allahs“ könne es nicht geben.

Abdurrahman Mercan, Mitglied der türkischen Lesben und Schwulen im LSVD, zeigt, worauf es tatsächlich ankommt: jenen ein Forum zu bieten, die als Muslime in ihren Herkunftsgemeinschaften keine Sympathien ernten, sondern, im Gegenteil, häufig nackter Gewalt ausgesetzt sind, wenn ihre Homosexualität ruchbar wird. Der Autor macht keinen Unterschied zwischen den in Deutschland Lebenden: Wer Homosexuelle für minderwertig hält, sie deshalb guten Gewissens schlecht behandeln zu können glaubt, verdient auch dann keinen Respekt, wenn er als Migrant hier lebt. Man könnte aus seinem Text auch ein Plädoyer für eine, nicht für die multikulturelle Leitkultur herauslesen: Das ist mutig.

Alexander Zinn, Sprecher des LSVD in Berlin, schreibt über das Verhältnis türkisch- und arabischstämmiger Jugendlicher zu Homosexuellen – und missachtet dankenswerterweise den Komment wattierter Vorsicht gegenüber Eingewanderten. Er konstatiert einen „Clash of Cultures“, denn es gebe wieder No-go-Areas, nicht nur im neonazistisch inspirierten Osten der Republik, sondern mitten in der Hauptstadt, dort, wo muslimisch geprägte Gemeinschaften den Alltag auf der Straße mitbestimmen. Zinn hält nichts vom Appeasement, vom Verständnis für möglicherweise unterschichttypische Ausdrucksformen männlich-heterosexueller Initiation. Vielmehr setzt er den Akzent auf das bürgerrechtliche Gebot, gegen Homophobie zu protestieren – gleich, gegen wen es sich richtet.

Angenehm fällt an dem Sammelband auf, dass das Anliegen gerade im Hinblick auf die Coming-outs muslimisch geprägter Homosexueller formuliert wird. Ihnen müsse Mut gemacht und signalisiert werden, dass sie nicht allein sind. Entsprechend ist auch die Plakataktion zu bewerten, die der LSVD mit dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg entworfen hat: „Kai ist schwul. Murat auch – er gehört zu uns. Jederzeit.“ Nicht die kulturelle oder religiöse Prägung sei entscheidend, sondern die Praxis, die ihr entspringt.

Und diese ist ja zu Recht als trostarm beschrieben worden. Aber Hoffnung darf dennoch geschöpft werden: Immerhin ist in dem Buch auch Kenan Kollat mit einem Beitrag vertreten. Das Bundesvorstandsmitglied der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist, wie einige der Mitautoren, nicht schwul – und doch erkennbar um Liberalität und ein politisch nicht zu unterschätzendes Credo im Sinne des „Du darfst“ bemüht. Mehr von diesen Stimmen braucht es, mehr Solidarität – also mehr von jenen, die der Mehrheitsgesellschaft unmissverständlich klar machen, dass man mit Islamismus, mit einem islamisch drapierten Terrorismus nichts zu schaffen haben will. Das nützt nicht nur dem Frieden im Land, sondern hilft auch, das Stereotyp verschwinden zu lassen, dass in Migrationsmilieus Schwule und Lesben nur auf schweigende Art einen Platz haben.

Das Buch enthält einen ausführlichen Literatur- und Adressteil; es ist darüber hinaus allen zu empfehlen, die noch glauben, dass die weit verbreitete Homophobie von perspektivarmen Einwandererkindern so lange nicht erörtert werden dürfe, wie es Rassismus gebe. Sie irren. Das Buch könnte ihnen wie allen Menschen in Helferberufen eine erhellende Lektüre sein. JAF

LSVD (Hg.): „Muslime unter dem Regenbogen. Homosexualität. Migration und Islam“. 274 Seiten, Querverlag, Berlin 2004, 14,90 Euro