Nur gewöhnliche Menschen

Die Kunst und der Kassenerfolg: Die Verleihung des Deutschen Filmpreises ließ die Widersprüche der Filmpolitik ahnen

Fatih Akin kann sich freuen: Als am Freitagabend im Berliner Tempodrom der Deutsche Filmpreis verliehen wurde, war „Gegen die Wand“, sein vierter Spielfilm, der große Gewinner. Die Preise für den besten Film, die beste Regie, die beste Kamera, die beste Hauptdarstellerin und den besten Hauptdarsteller gingen an Akins Film, der von der unglücklichen Liebe zweier Deutschtürken in Hamburg und Istanbul erzählt. Jenseits aller filmästhetischen Überlegungen ist dies ein erfreulich klares Zeichen dafür, dass die Kinder der Einwanderer in Deutschland angekommen sind und Teile der Mehrheitsgesellschaft das zu würdigen wissen.

Sowohl Akin als auch die Schauspieler Birol Ünel und Sibel Kekilli trugen dies offensiv vor: „Wurd’ doch auch mal Zeit“, sagte Ünel nonchalant, als er seine Goldene Lola im Arm hatte. Und Sibel Kekilli nutzte ihre Dankesrede, um der Bild-Zeitung einen Hieb zu versetzen. Das Boulevardblatt lancierte eine Verleumdungskampagne gegen die Schauspielerin, nachdem „Gegen die Wand“ bei der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hatte. „Nur gewöhnliche Menschen“, sagte Kekilli, „haben Vergnügen an den Fehlern anderer Menschen.“

Das saß, genauso wie Akins Klage über die Sparpläne bei der Hamburger Filmförderung. Die Kultursenatorin der Hansestadt, Karin von Welck, will deren Etat für das Haushaltsjahr 2005/6 von 7 auf 3,5 Millionen Euro senken. „Frau Weiss“, sagte der Hamburger Regisseur, „können Sie Ihrer Kollegin in Hamburg nicht sagen, dass sie mit der Kürzung aufhören soll?“

Es war dies nicht der einzige Augenblick der Gala, der deutlich zeigte, dass es um den deutschen Film nicht so gut bestellt ist, wie es die Staatsministerin Christina Weiss in ihren Reden glauben machen will. Sicher, es gibt wieder mehr junge Regisseure und Regisseurinnen, die eine eigene Handschrift entwickeln und eigensinnige Filme drehen. Doch die Kulturpolitik unterstützt sie dabei nicht in dem Maße, wie sie es tun sollte. Gleich mit welchem jungen Filmschaffenden man sich zurzeit unterhält, die Klage über abgelehnte Drehbücher, nicht bewilligte oder zurückgezogene Fördergelder und enge Vorgaben der koproduzierenden Fernsehanstalten ist immer zu hören.

So sagte zum Beispiel Sarah Clara Weber, nachdem sie für den Schnitt in „Muxmäuschenstill“ eine Goldene Lola erhalten hatte: „Nur gewöhnliche Menschen lesen ein Drehbuch wie das von ‚Muxmäuschenstill‘ und denken: Der Film wird geisteskrank.“ „Muxmäuschenstill“ hat 40.000 Euro gekostet, gefördert wurde er nicht – zu böse ist diese Erforschung deutschen Spießertums, die sich mit Kleist, Goethe und Kant im Gepäck an der deutschen Kleinbürgerseele der Gegenwart abarbeitet. Die Hauptfigur, so hieß es in der Ablehnung der Fördergremien, sei „weder charmant, schlau noch witzig“, und das Thema „unsoziales Verhalten in der Gesellschaft“ könne im Kino kaum interessieren.

Es hätte vorrangiges Ziel des novellierten Filmfördergesetzes sein sollen, derart engstirnige Vorstellungen davon, was im Kino funktioniert, zu ändern. Aber Christina Weiss hatte anderes im Sinn: Ihr geht es um die Stärkung der Filmbranche im Sinne von Standortpolitik und Wirtschaftsförderung. Wie anders lässt es sich erklären, dass das neue Gesetz vor allem die Filme belohnt, die an den Kinokassen erfolgreich sind?

Dazu passt es, wenn über den Deutschen Filmpreis – mit fast drei Millionen Euro ist er der höchstdotierte Kulturpreis in Deutschland – in Zukunft nicht mehr eine vom Ministerium eingesetzte Jury, sondern die Branche selbst entscheidet. Ab dem kommenden Jahr wird sich die im September gegründete Filmakademie selbst beglücken – mit Geldern, die nicht etwa sie, sondern der Steuerzahler generiert hat.

Man mag das demokratisch finden, da das Votum qua Mehrheit zustande kommt, statt dem Geschmack einer Jury geschuldet zu sein. Auch deren Entscheidungen fielen in der Vergangenheit kaum je kontrovers aus, was damit zusammenhing, dass man bei ihrer Zusammensetzung peinlich genau auf Proporz achtete. Als etwa im letzten Jahr Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin“ alle relevanten Preise auf sich vereinte, war das ein Votum, das auch die Branche selbst hätte abgeben können. Doch man kann sich genauso gut fragen, ob Mehrheitsentscheidungen dem Film als einer Kunstform jemals gerecht werden können – und warum das Bundeskulturministerium ohne jede Not ein so wichtiges Mittel der Filmförderung wie den Filmpreis aus der Hand gibt. CRISTINA NORD