Humor bringt Zinsen

Da lacht der Schweizer: Über die kleinen Appenzeller, die grossmäuligen Zürcher,die geizigen Basler, die diebischen Thurgauer oder die beschränkten Fribourger

Dass die Schweizer über sich selbst lachen können, stimmt natürlich nicht

Schweizer sind an und für sich sehr vernünftige Leute. Massvolle Menschen, die das Rote Kreuz erfunden haben und dem Leichtsinn des Lebens durchaus kritisch gegenüberstehen. Und wenn du einen Schweizer fragst, ob er Humor hat, wird er bedächtig nicken und dann durchscheinen lassen, dass sein Humor als festverzinslicher Wert auf einem der Nummernkonti der hiesigen Banken lagert – unter dem Pin-Code „Basler Fasnacht“, „Emil Steinberger“, „Nebelspalter“ oder eben ganz einfach: „Der Schweizer Witz“. Das ist sozusagen eine Handelsmarke. Es gibt nämlich neben dem importierten einen genuinen, ja eingeborenen Schweizer Witz.

Schauen wir uns aber zuerst die Schweizer Abart der international gängigen Witze an, von den Blondinen über die Häschen bis zur Politik. Als Beispiel diene der folgende, schon seit der Erfindung des Gaslichts grassierende Scherz:

Adolf Ogi wurde einmal gefragt, ob er glaube, dass es Leben auf dem Mond gibt. Seine Antwort kommt prompt: „Natürlich, es brennt ja jeden Abend Licht dort oben!“

Dieser Bundesrat Adolf Ogi war einer der populärsten Schweizer Regierungsmitglieder der letzten Jahrzehnte. Aus einfachen Verhältnissen stammend, schaffte er es bis an die Spitze des Schweizer Skiverbandes und war verantwortlich für die Erfolge 1972 bei den Olympischen Spielen in Sapporo – das ideale Rüstzeug für eine darauf folgende steile politische Karriere bei der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei. Das einfache Gemüt des ehemaligen Sportministers Ogi wird nach wie vor vielfach in Witzen besungen.

Doch das sind keine politischen Witze, sondern schlicht und ergreifend Blondinenwitze mit Schweizer Personal. Dass der Witz in der Schweiz auch subversiv ist, erscheint unwahrscheinlich.

Nicht überliefert ist beispielsweise, dass der Bauernführer Leuenberger einen besonders scharfen Scherz gegen die Mächtigen auf den Lippen hatte, als er Anno 1653 im Auftrage der Berner Obrigkeit gevierteilt und geköpft wurde. Und auch die gegenwärtige politische Opposition zeichnet sich eher durch Verbissenheit denn durch Witz aus.

Kommen wir also zu jenem vorab schon erwähnten genuinen und idealtypischen Schweizer Witz. Der verunglimpft ganz einfach stets eine Minderheit der Bewohner der Schweiz.

Das Zifferblatt an einem Berner Kirchturm muss neu gestrichen werden. „Ihr komm einfach zu wenig rasch vorwärts“, beschweren sich die Auftraggeber beim Maler. „Wie kann man rascher arbeiten“, wehrt sich der Maler, „wenn einem der Stundenzeiger immer wieder den Pinsel aus der Hand schlägt.“

In diesem Falle werden die furchtbar langsamen Berner aufs Korn genommen. Wenn man darüber lachen kann, dann amüsiert man sich auch über die kleinen Appenzeller, die grossmäuligen Zürcher, die geizigen Basler, die diebischen Thurgauer oder die beschränkten Fribourger. Der Bevölkerung eines ganzen Kantons, also eines Bundeslandes, wird in diesen Witzen eine negative, lachhafte Eigenschaft zugeschrieben.

Manchmal ist das Material schon ziemlich abgedroschen: Einen Satz bilden mit „Stalingrad“? Sehr einfach: „Auf dem Bahnsteig stand ein Reisekoffer. Da kam ein Thurgauer des Wegs und stahl-ihn-grad.“

Nun werden diese Witze normalerweise schöngeredet, indem behauptet wird, dass die Schweizer so über sich selbst lachen können. Das stimmt natürlich nicht. Das gibt es eigentlich gar nicht in diesem Land, dass man über sich und seine festverzinslichen Werte lacht. Man lacht nur über die andern:

In Zürich erzählt man sich nur Basler Witze und in Bern kichert man niemals über die Berner, sondern nur über die Fribourger Witze. So grenzt man sich ab und die anderen aus. Wenn jedoch alle Schweizer mal so richtig zusammen lachen wollen, dann geht es um die so genannten Webstübler:

Jakob und Walter bummeln hinter zwei vornehmen Damen her. „Donnerwetter“, flüstert Jakob, „die riechen aber gut!“ „Kunststück“, schwächt Walter ab, „die essen doch viel besser als wir.“

An und für sich ist die Webstube eine soziale Errungenschaft. Was dort geschah, hiess vor 100 Jahren noch „Beschäftigung Anormaler“, dann „Werkstätte für Mindererwerbsfähige“, schliesslich „Anorma“ und dann „Invalida“. Fast schon ein Scherz. Die Webstübler-Witze haben manchmal doch so etwas wie einen subversiven Gehalt. Denn die Narren halten der Gesellschaft den Spiegel vor und sagen die Wahrheit.

Und wenn die Webstübler als Witzfiguren möglicherweise zu verfänglich sind, so geht der Schweizer Witz gegen das Nachbarland und heisst schliesslich Österreicher-Witz:

Zwei Österreicher treffen sich. Fragt der eine: „Hast du jetzt den Führerschein gemacht?“ „Bin durchgefallen“, sagt der andere. „Warum denn?“ „Bin zu einem Kreisel gekommen, da war ein Schild, auf dem 30 stand.“ „Ja und?“ „Bin ich also dreissigmal rundum gefahren.“ „Und dann?“ „Bin durchgefallen!“ „Hast du dich verzählt?“

WOLFGANG BORTLIK