Schily stiehlt Nazis die Kulissen

Innenminister plant Verschärfung des Versammlungsrechts: Rechte sollen nicht vorm Holocaust-Mahnmal demonstrieren, und Terror soll nicht verherrlicht werden. Gut findet das bloß die Union

BERLIN taz ■ Ein Gesetzentwurf zur Verschärfung des Versammlungsrechts von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ist innerhalb von Rot-Grün auf heftige Kritik gestoßen. „Ich weiß nicht, woher der Innenminister seine Mehrheit im Bundestag nehmen will“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, zur taz. „Von der SPD bekommt er die nicht.“ Auch der grüne Sicherheitspolitiker Volker Beck hält Schilys Gesetzentwurf für „ziemlich abwegig“ und das bisherige Gesetz für ausreichend.

Den Gesetzentwurf hat Otto Schily auf Initiative der Bundesländer ausgearbeitet, erklärte sein Ministerium gestern. Zwei Dinge will der Bundesinnenminister vor allem ändern: Erstens sollen Gewalt oder Terror verherrlichende Demonstrationen allgemein leichter verboten werden können. Zweitens möchte Schily mit dem neuen Gesetz speziell rechtsextremistische Aufmärsche vor solchen Stätten verbieten können, die an die Opfer des Nazi-Regimes erinnern. Als Beispiel hierfür wird in der Begründung das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin genannt.

Doch schon bei der eigenen Partei wird Schily sich damit schwer durchsetzen können. Laut Wiefelspütz reiche geltendes Recht völlig aus, um Demos von Rechten vor Gedenkstätten in Berlin zu verhindern. Außerdem werde das Bundesverfassungsgericht die Einschränkung des Versammlungsrechts nicht mittragen: „Dieses verfehlte Gesetz würde die Grundrechte der Bürger erheblich einschränken.“

Der Grüne Beck fürchtet, das von Schily vorbereitete Gesetz könne beliebig gegen jede Demonstration eingesetzt werden. „Zudem darf die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen nicht allein an die Polizei delegiert werden“, sagte Beck der taz. „Damit muss sich die Bevölkerung auseinander setzen.“ Auch FDP-Innenexperte Max Stadler lehnte Schilys Gesetzesänderung ab: „Hände weg vom Demonstrationsrecht.“

Allein die Christdemokraten begrüßten Schilys Vorschlag. „Genau das haben wir immer gefordert“, sagte CDU-Fraktions-Vize Wolfgang Bosbach der taz. „Man stelle sich die Bilder und die Reaktionen vor, wenn Rechtsextreme vor dem Holocaust-Mahnmal in Berlin marschieren.“ Bosbach meint zudem, dass Schilys Vorschlag durchaus Chancen vor dem Verfassungsgericht hätte.

Denn der Bundesinnenminister hatte beim Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit Einschränkungen des Versammlungsrechts befasst. „Ich denke, dass Schilys Entwurf auf diesem Gutachten basiert und deshalb auch in Karlsruhe bestehen kann“, sagte Bosbach.

DANIEL SCHULZ, ANNA LEHMANN

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