Wie Herr Hundt Frauen fördert

VON NINA MAGOLEY

„Wir haben ein Frauenförderprogramm, aber wir unterscheiden nicht zwischen Frauen und Männern.“ Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), wirkt nervös, als ihm plötzlich dieser Geistesblitz kommt. Sollte er doch gerade erklären, warum ausgerechnet in seiner Firma Allgaier die angekündigte Frauenförderung der deutschen Wirtschaft offensichtlich nicht Einzug gehalten hat. Im Gegenteil: Zwar sind 200 der 1.300 Mitarbeiter bei dem Autoteilehersteller weiblich – doch die Geschäftsführung ist wie eh und je ganz in Männerhand, unter den 40 Abteilungsleitern findet sich nur eine einzige Frau. Dabei war es Dieter Hundt, der dem Bundeskanzler die Idee ausgeredet hatte, nur ein Gleichstellungsgesetz könne etwas an der konsequent kläglichen Frauenquote in führenden Positionen in Deutschland ändern.

Nur knapp sechs Prozent der oberen Führungspositionen in deutschen Wirtschaftsunternehmen sind von Frauen besetzt, im mittleren Management sind es gerade mal neun Prozent. In den meisten Chefetagen sucht man vergeblich nach Frauen in leitenden Positionen, die 30 DAX-Unternehmen werden vollständig von Männern verwaltet – keine einzige Frau in Vorstand oder Geschäftsführung.

Die Ministerin hat andere Sorgen

Die rot-grüne Regierung schrieb es daher 1998 sogar in ihren Koalitionsvertrag: Ein Gleichstellungsgesetz muss her. Es wurde entworfen und wäre das fortschrittlichste Gleichstellungsgesetz Europas gewesen. Doch den Vertretern der Wirtschaft gefiel die Idee gar nicht. Die Arbeitgeberverbände signalisierten dem Kanzler klar, dass sie ein solches Gesetz nicht akzeptieren würden, allen voran BDA-Präsident Dieter Hundt. Nach „Spitzengesprächen“ zwischen Schröder, Hundt und dem Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Michael Rogowski, stand fest: Das Gesetz kommt erst mal in die Schublade. Stattdessen einigte man sich im Juli 2001 auf eine freiwillige „Vereinbarung zur Förderung von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“. „Unser Land“, heißt es darin, könne sich auf Dauer nicht leisten, „in großem Umfang in Bildung und Ausbildung von Frauen zu investieren und das so gebildete Potenzial dann nicht zu nutzen“. Bis Ende 2003 hätten die Unternehmen Zeit, sich an die Arbeit zu machen. Dann würde geprüft, wer sich an die freiwillige Vereinbarung gehalten hätte. „Falls das nicht klappt wie vereinbart“, drohte Schröder in seiner Regierungserklärung am 18. April 2002, „werden wir gesetzlich handeln müssen.“

Anderthalb Jahre später scheint sich diese Mahnung an die Wirtschaft in sprichwörtliches Wohlgefallen aufgelöst zu haben, die Hoffnung auf ein Gleichstellungsgesetz dürfte seit Anfang dieses Jahres begraben sein. Denn die inzwischen zuständige Bundesfrauenministerin Renate Schmidt plagen andere Sorgen als Frauenförderpläne. Für sie sind offenbar nicht überholte, patriarchalische Rollenvorstellungen das Problem, und auch nicht die „gläserne Decke“ auf dem beruflichen Weg nach oben, die noch viel zu oft für Frauen undurchdringlich bleibt. Es ist vielmehr die Befürchtung, dass die Frauen über ihre Karriere das Kinderkriegen vernachlässigen könnten. „Allianzen für Familie“ heißt das neue Motto – von einem Gleichstellungsgesetz, das hat sie klar geäußert, hält die Ministerin gar nichts: „Ich bin davon überzeugt, dass ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft zwar eine hohe Symbolwirkung hätte, aber die betriebliche Praxis nicht verändern würde“, erklärte sie Ende letzten Jahres.

Schlechtestes Beispiel: Hundts Betrieb

So fand die in der Vereinbarung für Ende 2003 angekündigte große Untersuchung zum Stand der Veränderungen gar nicht erst statt. Alleine die Hans-Böckler-Stiftung führte Befragungen bei Unternehmen und Betriebsräten durch und kam zu einem schwachen Ergebnis: Geändert hat sich so gut wie nichts. Nur die Hälfte aller Betriebe kennt überhaupt die Vereinbarung, ganze 2,8 Prozent haben Frauenförderpläne entwickelt, und wirkliche Programme zur Chancengleichheit wurden gerade mal in 1,8 Prozent der Unternehmen umgesetzt. Die Quote der Frauen in Führungspositionen hat sich gar nicht geändert.

Eins der schlechtesten Beispiele ist ausgerechnet das schwäbische Unternehmen des Arbeitgeberpräsidenten selber, der die Zusage der Wirtschaft zur Chancengleichheit mit unterschrieben hat. Von der Vereinbarung seines Chefs mit dem Kanzler will Klaus Müller, Betriebsrat bei Allgaier, erst aus der Zeitung erfahren haben: „Nein“, sagt er, „direkt informiert worden sind wir hier im Betrieb nicht.“ Es habe keinerlei Maßnahmen für eine Umorientierung gegeben, auch Frauenförderpläne gebe es bei Allgaier nicht.

Es hat also nicht geklappt. Frauenförderung auf freiwilliger Basis funktioniert offenbar nicht, das zeigen die aktuellen Erhebungen. Zeit also für das angekündigte Gesetz. Doch im Bundesfrauenministerium ist plötzlich von einer Politik der „kleinen Schritte“ die Rede, und überhaupt: Die Bilanz 2003 sei doch gar nicht so schlecht: 50 Prozent aller Studienanfänger seien weiblich und die Beschäftigungsquote der Frauen deutlich gestiegen, argumentiert Renate Schmidt. Zahlen, die mit dem eigentlichen Problem nichts zu tun haben, empört sich Ingrid Weber, Sprecherin des Deutschen Juristinnenbunds: „Mit der Zunahme der Minijobs – nichts anderes bedeuten diese Zahlen – feiert die Bundesregierung allen Ernstes angebliche Frauenförderung.“ Dem Kanzler bescheinigt die Rechtsanwältin klaren Wortbruch.

„Frauenförderung ist nicht mehr in, jetzt ist Familie angesagt“, stellt Weber fest. Tatsächlich: Im Sprachgebrauch der Frauenministerin geht es nun darum, wie Betriebe „hochqualifizierte Mütter an sich binden können“, um den „ökonomischen Charme der Familie“, um Kinderbetreuung und Teilzeitarbeitsmöglichkeiten – Aspekte, die für berufstätige Frauen mit Kindern sicherlich eine Rolle spielen und deren Lösungen nicht immer einfach sind. „Und natürlich“, räumt Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr ein, „unterscheiden sich Männer und Frauen durch ihre Wertehierarchien.“

Wenn Frauen trotz guter Ausbildung aus ihrer beruflichen Entwicklung aussteigen, liege das nicht immer an den ungeschriebenen Gesetzen der Männer. „Während Männer ihren gesellschaftlichen Wert meist ausschließlich über ihre Arbeitsleistung definieren, kann es für Frauen neben der Arbeit auch andere erstrebenswerte Ziele geben“ – etwa Kinder aufwachsen zu sehen. Doch unabhängig von dieser Tatsache hänge die „gläserne Decke“ in Deutschland besonders tief, sagt die ehemalige hessische Frauenministerin und Mitentwerferin des Gleichstellungsgesetzes. „Die meisten Männer bestreiten inzwischen nicht mehr ernstlich, dass Frauen genauso gut sein können wie sie, aber sie fühlen sich von ihnen gestört, besonders bei ihren Machtspielen.“

Die „biologische Disposition“, fügt Pfarr hinzu, sei bei Frauen in anderen Ländern übrigens die gleiche und führe dort dennoch zu anderen Ergebnissen: Im europäischen Vergleich ist Deutschland in puncto Gleichberechtigung eines der rückständigsten Länder. Mit seiner Frauenquote in Führungspositionen liegt die Bundesrepublik auf dem drittletzten Platz innerhalb der alten EU- Grenzen. Die ersten Ränge belegen Länder, in denen es längst ein Gleichstellungsgesetz gibt: Großbritannien, Belgien oder die Niederlande.

„Anfangs gab es auch in Holland erhebliche Widerstände gegen dieses Gesetz“, erzählt Annemarie Rakhorst, Geschäftsführerin der Asbestsanierungsfirma Search im niederländischen Heeswijk. In dem 100 Mitarbeiter starken technischen Betrieb arbeiten auf allen Ebenen inzwischen genauso viele Frauen wie Männer, drei der vier Geschäftsführer sind Frauen. Das Argument, Frauen seien in vielen technischen Unternehmen an der Spitze unterrepräsentiert, weil es sich um Männerbranchen handele, lässt die energische Geschäftsfrau nicht gelten. Für Geschäftsführung und Management brauche es vielmehr betriebswirtschaftliche Ausbildung als technische, sagt sie. Und da gebe es inzwischen genug weibliche Absolventen – auch in Deutschland.

Bei der Firma Search habe sich das Prinzip der Chancengleichheit auf ganzer Linie bewährt, erklärt Rakhorst. Nicht nur der Kontakt mit den Kunden laufe heute reibungsloser, auch die interne Betriebskultur habe sich deutlich verbessert: „Wenn Männer und Frauen ihr unterschiedliches Denken und ihre Intuition zusammentun“, sagt sie, „setzt das für Problemlösungen und Konzepte enorme Kräfte frei, von denen wir auch ökonomisch profitieren“.

Dennoch: Auch bei Search hätte sich ohne das Gesetz nichts verändert, meint der einzige männliche Geschäftsführer, Eugene Janssen. „Freiwillig springst du nicht ins kalte Wasser“, erläutert er. Ein Gesetz lege gewisse Grundlagen fest, „und wenn die Unternehmen sich erst mal daran gewöhnt haben, erkennen sie die Vorteile“. Dann, setzt er fort, „fängt man plötzlich an, die Qualitäten des Menschen zu beurteilen, unabhängig davon, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß“.