Sensibler Aufklärer

Erich Hackl erinnert mit „Anprobieren eines Vaters“ an Autoren, Widerstandskämpfer und politisch Verfolgte

Erkenntnisinteresse leitet den österreichischen Schriftsteller Erich Hackl, sein Schreiben ist geprägt von Geschichtsbewusstsein und dem etwas altmodisch gewordenen Moment der Aufklärung. Als Erzähler, Essayist und Übersetzer aus dem Spanischen versucht er konsequent seine Vorstellung von Literatur als Ausdruck gesellschaftlichen Bewusstseins umzusetzen. Seine Geschichten reflektieren das Grauen und das Entsetzen des vergangenen Jahrhunderts. Ob in Österreich selbst oder in einem der lateinamerikanischen Staaten, in denen die Menschen bis vor nicht allzu langer Zeit um ihre Freiheit kämpfen mussten, Erich Hackl zeichnet die Schicksale jener nach, deren Leben von Entbehrung, Unterdrückung, Verfolgung, Deportation und Mord geprägt wurde.

Er erinnert in seinen Geschichten und Erwägungen seines neuen Buches „Anprobieren eines Vaters“ an Autoren und Journalisten, Widerstandskämpfer und politisch oder ethnisch Verfolgte, an Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs ebenso wie an Emigranten und Mitglieder der Arbeiterbewegung. Seine Porträts sind so mitfühlend wie historisch nüchtern, so persönlich motiviert wie auf ein großes Ganzes hinweisend. Sie fügen sich in ihrem Erleben tiefster Erniedrigung und existenziellem Widerstehen zu einem Bild von einer Welt, wie man sie im Grunde nicht erahnen, geschweige denn kennen möchte.

In der einfachen Nachhaltigkeit des Geschilderten liegt ihr unschätzbarer Wert, in ihrer baren Existenz ihre Notwendigkeit. Oft erschüttert die Lektüre in der Drastik des Erzählten, aber es ist nicht nur Hackls unpathetische Darstellungsweise, die verfängt, es sind die unvorstellbaren Qualen, die Menschen durchlitten haben, die an der menschlichen Vernunft verzweifeln und stumm werden lassen könnten. Aber genau das wäre fatal, im Erinnern und Bewahren dieser Biografien – von der österreichischen Schriftstellerin Elisabeth Freundlich bis hin zu Mauricio Rosencof, dem ehemaligen Tupamarokämpfer und Autor aus Uruguay – bleibt etwas von jener bewundernswerten Kraft erhalten, die diese Frauen und Männer in sich getragen haben. Ihre Botschaft vom Glauben an eine menschlichere Zukunft weiterzugeben, dem hat sich Erich Hackl mit seinen Büchern verschrieben.

Die Lebensbilder, die in „Anprobieren eines Vaters“ aus den Jahren 1997 bis 2003 versammelt sind, transportieren sein Wertegefühl und seine politisch-moralische Überzeugung. Diese Lebensbilder sind im besten Sinne engagierte Literatur. Wo deutsche Nachwuchsschriftsteller in Feuilletonartikeln über die Bedeutung gesellschaftspolitischer Literatur nur diskutieren, sichtet Erich Hackl die Quellen, trifft Menschen und schreibt nieder, was er hört und was er für wichtig hält. Wie wohltuend ist es, so etwas zu lesen! THOMAS KRAFT

Erich Hackl: „Anprobieren eines Vaters. Geschichten und Erwägungen“. Diogenes Verlag, Zürich 2004, 304 Seiten, 18,90 €