Der Kernbereich der Gutsherrin

Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig kürzt bei den Schulen mehr, als sie müsste. Die parteilose Senatorin will sich „Spielraum“ verschaffen für neue Konzepte, die niemand kennt, und verdirbt es sich langsam selbst mit der CDU-Fraktion

„Die Schulen brauchen Ruhe“, stöhnt ein CDU-Abgeordneter, die chaotische Ära des FDP-Kenteradmirals Lange noch lebhaft vor Augen.

von KAIJA KUTTER

Es gibt Mitarbeiter am Berliner Landesinstitut für Schule und Medien (lisum), die suchen täglich im Internet nach Neuigkeiten über ihre frühere Chefin. Von Maulkorberlass und Schulschließungen war zu lesen. „Senatorin überfordert?“, fragt die Springer-Presse nach nicht mal 100 Tagen Amtszeit von Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig. „Wir verstehen sowieso nicht, warum Hamburg die genommen hat“, sagt ein lisum-Mitarbeiter: „Das ist eine unpolitische Frau, für die Kinder und Pädagogik keinen Wert haben“. Am Institut habe ihr deshalb „keiner eine Träne nachgeweint“.

Wenn Dinges-Dierig „den Stift rausholt, dann regiert sie nach Gutsherrenart“, wird berichtet, den Kürzungsvorgaben des Berliner Senats habe sie sich „nicht entgegengestellt“. Als sie 2001 anfing, hatte das lisum 200 Mitarbeiter, als sie im März ging, noch 76. „Kürzen und sparen“ habe die Unternehmerstochter aus einer badischen Bettwäschedynastie (Dierig-Werke) in Berlin gelernt und den Maulkorberlass vom dortigen SPD-Schulsenator Klaus Böger abgeguckt, der seinen Untergebenen das Wort verbot.

Die Berichte erhellen, warum der parteilosen Politikerin in der Hansestadt der Wind so stark entgegenweht. Selbst in der CDU-Fraktion ist man genervt ob der negativen Schlagzeilen. „Hätte sie doch einfach weniger gemacht. Die Schulen brauchen Ruhe“, stöhnt ein Abgeordneter, die chaotische Ära des FDP-Kenteradmirals Lange noch lebhaft vor Augen. Egal ob Schwimmunterricht, Schülerfahrkarten oder kostenlose Vorschule, bei der Zusammenstellung des Sparpakets für den Haushalt 2005/2006 musste Dinges-Dierig an Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) alles hergeben, was nicht niet- und nagelfest ist. Auf 40 Millionen Euro summierten sich die Einbußen insgesamt, hat GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch errechnet: „Sie ist seit Schulsenator Joist Grolle in den Achtzigern die erste, die richtig Geld abgibt.“

Sie habe versucht, den „Kernbereich“ der Bildungsaufgaben von Einsparungen zu schonen, verteidigt dagegen Dinges-Dierig selbst das Ergebnis der Haushaltsberatungen. Damit meint sie die Lehrerstellen, für deren „Entwicklung von 2004 bis 2008“ es ein – allerdings immer noch internes – Papier gibt. Doch im Jonglieren mit dieser knappen Ressource häuft die Senatorin Fehlerberge auf: So verkündete sie Mitte Mai nach dem Motto „hart, aber ehrlich“, dass sie die Klassen vergrößern und auf diese Weise 1.000 Stellen umschichten will, um bis 2008 zusätzliche 6.000 Schüler zu versorgen und „Spielraum“ für neue Konzepte zu bekommen. Unerwähnt ließ sie, dass es bei größeren Klassen allein nicht bleibt und fast die Hälfte ihres Spielraumpakets (431 Stellen) den Fördermaßnahmen für schwächere Schüler genommen wird. Schon zum 1. August baut sie, ohne den Hauch eines eigenen Konzepts vorzuweisen, die ersten 163 Förderstellen ab.

Nach Berechnung der Elternkammer spart Dinges-Dierig zum Schulanfang rund 750 Stellen, braucht aber zunächst nur die Hälfte, da die Schülerzahlen erst später anwachsen. Sie mutet also Eltern, Lehrern und Schülern mehr zu, als nötig wäre. An einem Altonaer Gymnasium werden deshalb drei fünfte Klassen mit je 33 Schülern gebildet, in sozial schwachen Gebieten wie Schnelsen-Süd werden Stadtteilschulen geschlossen und gleichzeitig die Karten für die nur mit dem Bus zu erreichende Alternativschule gestrichen: „Weiß diese Senatorin noch, was sie tut“, fragt selbst Bild.

Bis zum Schuljahr 2007 hingegen fressen laut Lehrerstellenplan die steigenden Bedarfe die Einsparungen komplett auf, sodass keine Stellen für neue Sprachförderkonzepte bleiben. Dies soll, wie Behördensprecher Alexander Luckow erklärt, durch „Ressourcenentlastungen“ bei Schulschließungen in den Jahren 2006 und 2007 ausgeglichen werden. Ein abenteuerlicher Plan, weil bei den ab Herbst diskutierten bis zu 72 Schulschließungen mit unkalkulierbarem Widerstand zu rechnen ist.

Für manche böse Schlagzeile der ersten 100 Tage konnte Dinges-Dierig nichts. Sie riss in 2003 keine Löcher in den Schulbauetat, sie hat keine überhastete Abitursverkürzung verordnet. Aber sie setzt sie um. Während die Förderung leistungsschwacher Schüler gedrosselt wird, erhalten Gymnasien so viele zusätzliche Stunden für den Nachmittag, dass selbst die Eltern in den Elbvororten auf die Barrikaden gehen. Ob Elite oder soziale Brennpunkte – das Vertrauen der Eltern, dass diese Senatorin das Wohl ihrer Kinder im Auge behält, ist nach 100 Tagen stark beschädigt.

„Wir beobachten die Entwicklung mit Sorge“, sagt der lisum-Mann aus Berlin. „Schließlich hat die Senatorin als Beamtin beim Land Berlin ein Rückkehrrecht.“