Kopfzerbrechen über Kopftuch-Urteil

Juristen und Politiker streiten auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über Sinn und Unsinn eines gesetzlichen Kopftuchverbots. SPD-Expertin ist dafür, Exverfassungsrichter warnt vor „desintegrierender“ Wirkung

VON HEIDE OESTREICH

Kaum ist wieder ein Urteil im Kopftuchstreit gefallen, geht der Streit auch schon weiter. Am Donnerstagabend urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin nicht mit Kopftuch unterrichten darf. Und am Freitagmorgen kam schon die erste Urteilsschelte.

Ernst-Gottfried Mahrenholz, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, nannte das Urteil „diskriminierend“. „Dieses Urteil und das ihm zugrunde liegende Gesetz des Landes Baden-Württemberg desintegrieren unsere Gesellschaft“, sagte Mahrenholz im Deutschlandfunk. Deutschland habe die Aufgabe, 3,5 Millionen Muslime zu integrieren und nicht zu desintegrieren, mahnte er. Auch das pauschale Verbot von Kopftüchern kritisierte er: Das Beamtenrecht sehe generell nur Einzelfallprüfungen vor, lediglich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten habe man generell alle Sozialdemokraten und Zentrumspolitiker aus dem Staatsdienst entfernt.

Die Möglichkeit, Lehrerinnen pauschal die Bekundung ihrer Religion zu verbieten, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom September 2003 allerdings vorgesehen. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht das Stuttgarter Kopftuch-Gesetz für rechtmäßig erklärt und damit die Klage Ludins abgewiesen.

Die Richter werteten in ihrer Urteilsbegründung das baden-württembergische Gesetz als ein „allgemeines ausnahmsloses Verbot, durch religiöse Bekleidung Bekundungen abzugeben, die den Schulfrieden gefährden oder stören könnten“. Da Ludin das Tuch nicht abnehmen wolle, fehle es ihr damit an der Eignung für den Beruf der Lehrerin im Staatsdienst. Den umstrittenen Satz im Gesetz, dass die „Darstellung christlicher und abendländischer Kulturwerte“ erlaubt sei, wertete das Gericht als überflüssig. Denn diese „Darstellung“ sei ohnehin von der Landesverfassung gedeckt.

Das bedeutet aber auch, dass eine Nonne, die das Christentum nicht nur „darstellt“, sondern ihren Glauben „bekundet“, unter Umständen ebenfalls nicht eingestellt werden dürfte, denn „Bekundungen“ sind laut Gesetz kritisch zu betrachten. Allerdings muss das Schulamt bei dieser kritischen Betrachtung befinden, ihre Tracht könne den Schulfrieden gefährden. Wenn es das nicht feststelle, könnte eine Nonne unterrichten, bis jemand dagegen protestiert.

Das bringt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck zu einer kritischen Einschätzung: „Die Lösung, alle religiösen Symbole gleichzustellen, kann in diesem Fall unterlaufen werden. Am Ende werden doch nur die Musliminnen mit Kopftuch ausgegrenzt, mit dem Hinweis, sie trügen ein Kleidungsstück, das zu Konflikten führe.“ Dieses Stigma breite sich auch auf andere Berufe aus, so Beck: „Uns liegen Stellenausschreibungen für Arzthelferinnen oder Änderungsschneiderinnen vor, in denen steht: ‚nur ohne Kopftuch‘ “, sagte Beck. Von außen zu definieren, das Tuch sei an sich konfliktbeladen, und deshalb müsse eine Frau es abnehmen, sei eine „durch und durch paternalistische Haltung“.

Das sieht die Islambeauftragte der SPD im Bundestag, Lale Akgün, ganz anders: „Eine Beamtin muss eben an bestimmten Punkten Verzicht üben“, sagte Akgün der taz. Sie wolle nicht, dass Lehrerinnen mit Kopftuch entlassen würden, aber: „Ich wünsche mir, dass sie den Mut haben, über ihren Schatten zu springen und mit nach einer Lösung zu suchen.“ Fereshta Ludin findet sich genau in solchen Aussagen diskriminiert: „Es ging immer nur abstrakt um das Kopftuch, das angeblich gefährlich ist. Um meine Person, meine persönliche Freiheit und das, was ich den Kindern vermitteln möchte, geht es überhaupt nicht mehr“, sagte sie nach dem Urteil. Das Gericht habe nicht beachtet, dass es mit dem Urteil eine bestimmte Gruppe einfach ausgrenze. In diese Richtung argumentierte auch Eva-Maria Stange von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „Der Umgang mit dem Kopftuch im Unterricht sollte vor Ort in der jeweiligen Schule geschehen“, forderte Stange. Ludin und ihr Anwalt warten die schriftliche Urteilsbegründung ab, bevor sie entscheiden, ob sie erneut vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.